Der Osmanische Staat 1300-1922
auftaucht.
B. DIE HERKUNFT DER TÜRKEN UND IHR EINTRITT
IN DIE ISLAMISCHE WELT
Die Turkisierung
Anatoliens
Der Sieg des Seldschuken Alp Arslan über die byzantinische Streitmacht bei
Manzikert/Malazgirt (Armenien) im Jahr 1071 gilt als das entscheidende Ereignis bei der Turkisierung und Islamisierung Anatoliens. Ein Jahrhundert später besiegelte die Schlacht bei Myriokephalon, als ein byzantinisches Heer auf dem
Weg nach Konya von den Seldschuken aufgehalten wurde, die Unumkehrbarkeit
dieser Entwicklung (1176). Diese Vorgänge muß man sich jedoch eher als ein
allmähliches Einsickern von türkischen, durch den mongolischen (tschingisidischen) Druck aus Iran oder Chwaresm vertriebenen Gruppen vorstellen
denn als wirkliche „Invasionen". Anders als im 7. bis 10. Jahrhundert, als die
Araber Byzanz bedrohten, war das Reich den aus winterkalten Räumen vorstoßenden Reiternomaden nicht gewachsen. Weiterhin offen bleibt die Frage,
warum die türkischen Eroberer Irans teilweise weiter nach Westen zogen und in
erstaunlich kurzer Zeit den anatolischen Raum ethnisch überprägten. Das wesentlich günstigere Klima Anatoliens und die bessere Naturausstattung ebenso wie
die fehlende Konkurrenz zu anderen (arabischen und kurdischen) Nomaden mag
ebenso eine Rolle gespielt haben wie die bewußte „Ablenkung" eines unruhigen
Elements in Richtung auf die byzantinischen Grenzräume durch die Seldschukenherrscher in Iran (CAHEN). Die Herrschaft von Aläaddin Kaykubäd I.
(1220-1237) gilt als Höhepunkt des rumseldschukischen Sultanats im östlichen
und zentralen Anatolien.
Seldschuken,
Mongolen,
Beglik-Zeit
Nach ihrer Niederlage am Kösedag 1243 wurden die anatolischen Seldschuken
Vasallen der Mongolen. Das Jahr 1277 markiert den Beginn der unmittelbaren
mongolischen (ilchanidischen) Herrschaft. Der letzte anatolische Seldschuke
Aläaddin Kaykubäd III. wurde 1303 durch den Ilchaniden Ghazan Chan hingerichtet. Die Übergänge zur Beglik-Periode, der Zeit zahlreicher, teils kurzlebiger Kleinfürstentümer in Anatolien, sind fließend. Die Revolte eines Sülemis,
von 1298 gegen das mongolische Protektorat scheint die Unabhängigkeit der
Grenzfürstentümer im Westen bestärkt zu haben.
Turkisierung,
Islamisierung
In der Mongolenzeit wurde das türkische Element noch stärker. Dafür war die
Flucht vor den transoxanischen Chwaresmiern wahrscheinlich ebenso verantwortlich wie die Integration von Türken in die mongolischen Heere.
Schließlich mag die dünne Besiedlung Anatoliens eine gewisse Sogwirkung
ausgelöst haben. Teile des Raums waren durch arabische Razzien geschwächt.
Die insgesamt geringe Hellenisierung, Wanderungsbewegungen (etwa der Armenier aus ihren Kerngebieten nach Kilikien) und die Umsetzung von Bevölkerungsteilen durch Byzanz verstärkten den amorphen Charakter. Ähnlich wie
bei der Arabisierung des fruchtbaren Halbmonds bzw. Nordafrikas führten Heiraten mit den Eroberern, eine sinkende Kinderzahl bei den Autochthonen und
die Tatsache, daß nur die Zugehörigkeit zum Islam vor Diskriminierung bewahrte
und den Aufstieg zu den höchsten Ämter im Staat ermöglichte, zu einer Änderung
des Bildes. Hingegen wird die demographische Auswirkung der Mamluken-
Institution („Knabenlese" für das Janitscharenkorps) weithin überschätzt.
Bevölkerung
Beim Fehlen absoluter Bevölkerungszahlen können ohnehin nur relative Grüßen einander gegenüber gestellt werden. Aus einer vielleicht im 13. Jahrhundert
erreichten relativen Bevölkerungsmehrheit der Türken wird spätestens im
15. Jahrhundert ein absolutes Übergewicht. In osmanischer Zeit wurde die Turkisierung Anatoliens nicht mehr wesentlich vorangetrieben. Allerdings übernahmen jetzt große christliche Gruppen, v.a. in den Städten, das Türkische als
Umgangssprache (Armenier, „Karamanli"-Griechen), während in Teilen Kappadokiens, im Westen und im pontischen Raum die Griechen an ihrer Sprache
festhielten. Um 1290 entstanden die ersten in „altanatolisch-türkischer" Sprache
verfaßten Verse des Sultan Veled.
Nomadische oder
bäuerliche Siedlung?
Bei der Frage nach dem Charakter der Turkisierung Anatoliens muß auf die in
ihrer zentralasiatischen Heimat teils seßhaften, teils halbnomadisch bzw.
vollnomadisch lebenden oghusischen Bevölkerungsteile hingewiesen werden. Es
ist fraglich, ob das Vorhandensein einer agrarischen Terminologie bei den Einwanderern Schlüsse auf ursprüngliche Seßhaftigkeit erlaubt, denn
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