Der Osmanische Staat 1300-1922
der übereinander und nebeneinander bestehenden Gebilde vorgeschlagen:
1. das mongolische Ilchanat bzw. seine Statthalter,
2. das seldschukische Sultanat,
3. im Süden und Südwesten Kleinasiens das mamlukische Sultanat,
4. (stellenweise) seldschukische Fürsten,
5. sogenannte ucbegs („Grenzherrn"), die von den Mongolen oder Seldschuken
eingesetzt oder zumindest geduldet wurden,
6. Stammesführer, die zum Teil gleichzeitig als ucbegs handelten
7. heiligenmäßige Männer mit ihrer Anhängerschaft
8. Emporkömmlinge, die ein eigenes Beglik anstrebten.
Diese Komplexität erlaubt nicht, von einem „türkisch-muslimischen" Lager zu
sprechen, das Byzanz in großer Geschlossenheit gegenüber stand. Das gilt in ganz
besonderer Weise für das z. T. byzantinisch, z. T. osmanisch kontrollierte Bithynien im Nordwesten Kleinasiens.
Die Herkunft der
Osmanen
Die Behauptung einiger osmanischer Quellen und nationalistischer Historiker
von einer frühen, gleichzeitig mit den Seldschuken erfolgenden Einwanderung des
Stammes Osmän in Anatolien wird heute zugunsten der Annahme aufgeben, daß
die Ahnen der Dynastie mit der zweiten großen, von den Mongolen ausgelösten
Einwanderungswelle im frühen 13. Jahrhundert ins Land kamen. Unklar ist, unter
welchen Umständen der Stamm in den Marmara-Raum vorstieß. Es scheint
festzustehen, daß Osmäns Vater Ertogrul keine politischen Ambitionen hegte,
auch wenn er die regionale Vorherrschaft der Germiyan als drückend empfunden
haben mag. Es gibt zwei Traditionsstränge in der späteren osmanischen Chronistik. Nach einer Überlieferung begleitete Ertogrul den Seldschuken Aläeddin
von Konya in den Raum Eskilehir (Sultanöyügü) und eroberte von dort aus Sögüd.
Die andere Überlieferung (u. a. durch Ä ik-Pa1a-Zäde sehr bekannt geworden)
behauptet, Aläeddin habe Ertogrul Sögüd als Winterweide zugewiesen. Dort sei er
687 H./1288 gestorben. Die Wirtschaftsweise des Stammes war der Wechsel
zwischen Sommer- und Winterweide mit verhältnismäßig geringen Entfernungen. Gleichzeitig fand ein lebhafter Handelsaustausch mit der christlichen
städtischen und bäuerlichen Bevölkerung statt.
Osmän Gäzi
Die ersten wichtigen Eroberungen Osmäns fanden vermutlich zwischen 1298
und 1301 statt, als er eine Reihe byzantinischer Festungen in Nordwest-Kleinasien
(Bithvnien) besetzte (Bilecik, Yarhisar u. a.). 1301 besiegte Osmän in der Schlacht
von Baphaion/Koyunhisar ein 2000-Mann-Kontingent der byzantinischen Armee. Der Stammvater der Dynastie wird übrigens nur in einer zeitgenössischen
Quelle erwähnte: Georg Pachymeres (1242-ca. 1310) nennt ihn Ataman. Daraus
haben einige Turkologen (DENY, BAZIN) geschlossen, daß der islamische Name
Osmän eine sekundäre Form darstellt. Zu seinen Lebzeiten schlugen die Angriffe
auf größere befestigte Orte wie Nikaia/Iznik und Bursa zwar fehl, doch reichten
seine Vorstöße bis an den Bosporus. Bei seinem Tod (1324?) war die Landschaft
Bithynien mit Ausnahme einiger Festungen unbestritten in „osmanischer" Hand.
Es ist noch nicht geklärt, ob eine Silbermünze auf den Namen „Osmän Sohn des
Ertogrul" echt ist. Wenn sie es ist, so ist sie ein Beweis für den Souveränitätsanspruch, den Osmän gegenüber der ilchanidisch-seldschukischen Oberherrschaft erhob.
C. RAUM UND BEVÖLKERUNG
Der Kernraum
Alle von den Osmanen nacheinander bezogenen Residenzen bis zur Einnahme
von Istanbul (1453) lagen im Marmara-Raum (Sögüd, Karaca Hisär, Iznik, Bursa,
Edirne). „Die Einsicht in die politische Notwendigkeit des Besitzes dieser Kerngebiete spiegelt sich (wie in Byzanz) auch in der territorialen Entwicklung des
Osmanischen Reiches wider" U. KODER, Der Lebensraum der Byzantiner, Graz
1984, 18f.). Wie im Falle von Byzanz konnte auch kein anderes Zentrum mit
Istanbul in politischer, wirtschaftlicher, kultureller und religiöser Hinsicht
konkurrieren.
Polyzentrismus
Freilich war die „Kopflastigkeit" des Osmanischen Staates angesichts der im
frühen 16. Jahrhundert hinzugewonnen großen und wirtschaftlich wie kulturell
gewichtigen „alten Hauptstädte" (Damaskus, Bagdad, Kairo) und den im 17. und
18. Jahrhundert blühenden Mittelpunkten von Land- und Seehandel (wie Aleppo
oder Izmir) längst nicht so ausgebildet wie in Byzanz. Auch das anatolische
Hinterland wies eine äußerst ausgeglichene Hierarchie von urbanen Zentren
auf, an deren Spitze Bursa, Ankara und Kayseri standen.
Expansion
Vom
Weitere Kostenlose Bücher