Der Pakt der Wächter: Roman
die Zahl ist das Wort des Herrn. Also: Das Wort des Herrn könnten die Zehn Gebote sein. Der Baum des Lebens ist ein Hinweis auf die Kabbala und den jüdischen Mystizismus und könnte ein Verweis auf Gottes Erscheinen in der Welt in zehn Stadien sein. Und die verlorenen Stämme – was sonst kann damit gemeint sein als die zehn verlorenen Stämme Israels?«
»Zehn«, sagte ich. »Immer wieder taucht die Zahl Zehn auf!«
»Bingo!«
»Und was ist mit der Zahl der Sakramente ?«
»Sieben. Die sieben Sakramente. Kapierst du jetzt?«
»Ganz und gar nicht.«
»Scheint noch zu früh für dich zu sein. Wie spät ist es auf Island? Der Text verweist auf zwei Zahlen: zehn und sieben!«
»So viel hab ich auch mitbekommen. Und?«
»Bjørn, du bist wirklich schwer von Kapee! Um die Botschaft zu entschlüsseln, müsst ihr die Saga vom heiligen Kreuz auf alle möglichen Kombinationen aus zehn und sieben durchforsten.«
»Kombinationen aus zehn und sieben?«
Snorri Sturlusons letzte Saga ist die am wenigsten bekannte und die am meisten unterschätzte. Die Saga ist wie ein Abenteuer geschrieben, eine Fabel, und viele Forscher bezweifeln, dass Snorri überhaupt der Urheber ist. Die Geschichte handelt von dem mythenumsponnenen Wikingerkönig Bård, der auf einer Reise nach Jorsalaland das Kreuz Jesu stiehlt. Wieder daheim in Norwegen, pflanzt er das Kreuz ein, das bald zu einem ganzen Wald aus Kreuzen wird. Darüber hinaus wird berichtet, wie Norwegen von Kreuzfahrern, Tempelrittern, Johannitern und den Soldaten des Papstes heimgesucht wird. Snorri soll die Saga vom heiligen Kreuz angeblich 1239 geschrieben haben, unmittelbar nachdem er Norwegen seinen zweiten und letzten Besuch abgestattet hatte. Er war vor dem Machtkampf zwischen Skule Jarl und dem Birkebeinerkönig Håkon Håkonsson geflohen. So wurde damals gelebt und nicht zuletzt gestorben.
Kombinationen aus zehn und sieben …
»Und was ist mit dem zweiten Vers?«, fragte ich.
»Mindestens genauso unverständlich. Ich habe ihn entschlüsselt, aber es ist mir nicht gelungen, ihn zu analysieren oder zu deuten. Der Vers wurde für Adressaten verfasst, die ein anderes Hintergrundwissen hatten als wir.«
Er las mir seine Übersetzung vor.
»Ehrwürdiger WÄCHTER
der du diese geheimen Worte liest
du allein sollst wissen dass Asims heilige Runenrose
und die verborgenen Geheimrunen des Kirchenkreuzes
dich zu den heiligen Grabkammern führen
und zum heiligsten von allen
dem ersten Grab
Ehrwürdiger WÄCHTER
der du die Rätsel der Zeichen deutest
du allein sollst finden den Runenstein
in der Runenrose letztem Grab
wo Bischof Rudolf ruht
Ehrwürdiger WÄCHTER
der du die verborgene Geschichte kennst
allein du sollst wissen dass der Runenstein
dich zu Geheimrunen führt im
Runenstab, dem Wohlklang, der Altartafel«
5
»Ich bin ein verderbter Mensch!«
Sira Magnus saß schlaftrunken am Küchenfenster und trank Kaffee, als ich mit Terjes Übersetzung angelaufen kam. Er sah elend aus. Sira Magnus hatte einen Hang zur Schwermut und zum Selbstmitleid. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass in diesem Zustand akuter Melancholie mit Hektik wenig zu erreichen ist. Also schenkte ich mir ebenfalls einen Becher frisch aufgebrühten Kaffee mit viel Kaffeesatz ein und setzte mich an den Küchentisch.
»Hör mal«, sagte ich und schob ein Stück Zucker zwischen die Lippen. »Das, was du als Diebstahl der Pergamente bezeichnest, ist doch eigentlich nichts anderes als eine befristete Ausleihe. Im Dienst der Wissenschaft.«
Sein Seufzer beinhaltete das Jüngste Gericht.
»Magnus, ich verspreche dir, morgen persönlich zum Institut für Handschriften zu fahren und ihnen von deinem Fund zu erzählen. Sie werden Verständnis haben. Damit wäre diese Sünde aus deinem Sündenregister gestrichen.«
»Glaubst du wirklich, dass die Gnade der Vergebung so funktioniert?«
»Mein Freund …«
»Du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst. Da ist noch etwas. Ich …«
»Ich bitte dich! So schlimm wird es schon nicht sein!«
»Wir müssen den Codex so schnell wie möglich ins Institut für Handschriften bringen.«
»Ganz deiner Meinung. Wenn wir beide damit fertig sind. Lass mich mit ihnen reden. Danach werden das Institut und Unser Herr einen Strich unter das ziehen, was du getan hast.«
»Bjørn … Ich erwarte Besuch. Morgen …«
»Besuch?«
»Ich konnte meinen Mund nicht halten.«
»Wer kommt?«
»Ein paar Wissenschaftler vom Schimmer-Institut. Sie wollen sich
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