Der Pakt der Wächter: Roman
muss.
»Ich bin kein Archäologe«, sagte der Polizeichef. »Oder Historiker. Ich verstehe zwar, dass eine solche Entdeckung von Bedeutung für Sie als Wissenschaftler ist, kann mir aber wirklich nicht vorstellen, dass jemand bereit wäre, dafür zu töten.«
Dieses Mal bin ich es, der schweigt, denn meine Gedanken gehen genau in die gleiche Richtung.
Meine Aussage zieht sich über neunzig Minuten hin, wobei ich ihn vermutlich mehr verwirre, als dass ich zur Aufklärung des Falls beitrage. Die Fragen des Polizeichefs bauen aber auch nicht aufeinander auf. Er versteht nicht viel. Aber das tue ich wohl auch nicht.
Inmitten der Befragung taucht ein Ermittler der Ríkislögreglustjórinn auf. Mit solchen Namen schmückt sich die Polizei in Island. Er wirft eine durchsichtige Plastikmappe auf den Tisch vor dem Polizeichef. In ihr befindet sich die Brille von Sira Magnus. Die Polizisten aus Borgarnes müssen sie am Boden des Badebeckens übersehen haben. Der Polizeichef ist ungehalten. Sie gehen in ein Nebenzimmer. Durch die Wand höre ich aufgeregte Stimmen. Dann kommen sie zurück und führen die Befragung fort. Der Beamte aus der Hauptstadt sitzt in der Fensternische. Er sieht mich mehrmals eindringlich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Nach einer Weile fragt er mich, wo ich war, als Sira Magnus starb. Ich erkläre ihm, dass ich bei Thrainn Sigurdsson im Árni-Magnússon-Institut in Reykjavik war.
Nach der Befragung werde ich aus dem Raum in eine Zelle geführt. Stehe ich unter Verdacht? Eine Dreiviertelstunde sitze ich dort, dann holen sie mich wieder. Erst jetzt gibt mir der Ermittler aus Reykjavik die Hand und stellt sich vor. Wenn Isländer ihren Namen nennen, hört es sich immer an, als hätten sie den Mund voller Glasperlen.
»Wir mussten erst einmal überprüfen, ob Sie wirklich der sind, für den Sie sich ausgeben, und uns Ihre Geschichte von jemandem bestätigen lassen.«
»Glauben Sie etwa, ich hätte Sira Magnus umgebracht?«
Keiner von beiden antwortet. Schließlich sagt der Polizeichef: »Mein Kollege vom Ríkislögreglustjórinn meint, wir sollten Ihnen vorerst den Status eines Verdächtigen einräumen, damit Sie auch die Rechte eines Verdächtigen in Anspruch nehmen können …« Er ist so verärgert, dass sich die Worte überschlagen. Der angesehene Polizeichef – der Hüter von Recht und Ordnung, der Rückhalt und das Fundament seiner Gemeinde – ist soeben von dem Kommissar aus der Hauptstadt überfahren worden. Ich beginne, eine gewisse Sympathie für den Polizeichef zu empfinden. Die Machtbalance ist verschoben. Plötzlich ist der Polizeichef auf meiner Seite. Zwei gegen einen.
Das Verhör geht weiter. Von dem Wenigen, das ich weiß, erzähle ich nur Bruchstücke. Polizeichef und Kommissar notieren sich ein paar Stichworte, aber ihr Mangel an Interesse ist so offensichtlich, dass mir rasch klar wird, dass es weder der Polizei in Borgarnes noch der Ríkislögreglustjórinn jemals gelingen wird, alle Spuren zu verfolgen, die Sira Magnus und ich entdeckt haben.
Das muss ich wohl selber tun.
2
Es ist Abend, als ich nach Reykholt zurückkehre.
Die Polizei hat mit ihrem gelben Flatterband den ganzen Pfarrhof weiträumig abgesperrt. Das breite Plastikband knatterte im Wind. Ich bleibe stehen und lausche und gehe dann hinunter zum Badebecken.
Die Polizeiwagen sind längst abgefahren. Das sjúkrabíllinn hat Sira Magnus ins Rechtsmedizinische Institut nach Reykjavik gebracht, wo die Pathologen an ihm herumschnippeln werden, um der Todesursache auf die Spur zu kommen.
Nur die Journalisten sind noch da. Sie wittern eine Sensation. Ein Fernsehreporter von Stod 2 spricht im Licht zweier Scheinwerfer in ein Mikrofon. Auch die Reporter und Fotografen von Morgunbladid , Frettabladid und GV treiben sich noch am Tatort herum. Zum Glück bemerken sie mich nicht. Ungeduldig und ziellos laufen sie am Badebecken herum.
Ich habe die ganze Zeit Sira Magnus vor Augen, versuche, einen Sinn oder eine Erklärung für die Geschehnisse zu finden. Schließlich gehe ich nach oben in meine Wohnung in der Snorrastofa.
3
Ich bemerke es sofort. Es war jemand hier.
Die Wohnung ist genauso ordentlich, wie ich sie verlassen habe. Aber ich habe einen Blick für so etwas und weiß genau, wie und wo ich etwas abgestellt habe. Zum Beispiel den Laptop. Meine Notizen. Den rechten Strumpf mit dem Loch in der Ferse.
Jemand war hier und hat meine Sachen durchsucht. Aber es ist nichts gestohlen
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