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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Tricks waren immer noch die besten. In der Anfangszeit des Krieges hatte Schellenberg einen ganzen Häftlingsblock des Konzentrationslagers Sachsenhausen mit Juden aus Deutschlands Unterwelt gefüllt und diese Leute darangesetzt, falsche britische Banknoten zu produzieren. (Die 20000 Pfund, mit denen er Cicero bezahlt hatte, kamen direkt aus den Druckpressen von Sachsenhausen.) Unter diesen Juden waren etliche routinierte »Ganefs« gewesen – Taschendiebe, die Schellenberg verschiedentlich bei verdeckten Operationen eingesetzt hatte. So auch eine gewisse Frau Brahms, die als die Königin der Berliner Unterwelt galt. Sie hatte Schellenberg eine wirksame Methode gezeigt, sich vor Taschendiebstahl zu schützen. Wenn im Taschenfutter mehrere Nadeln steckten, mit der Spitze nach unten, konnte man zwar die Hand unbeschadet in die Tasche stecken, aber kaum wieder herausziehen, ohne an den Nadelspitzen hängen zu bleiben. Frau Brahms hatte das ihren »Rattenfänger« genannt, weil dasselbe Prinzip auch bei einer bestimmten Sorte Nagerfallen zur Anwendung kam.
    »In dieser Tasche ist nichts«, sagte Hoffmann, wollte die Hand wieder herausziehen und schrie laut auf, als sich ein Dutzend scharfe chirurgische Nadeln in sein Fleisch bohrten.
    Schellenberg sprang blitzartig auf, riss Hoffmann, dessen Hand noch immer in der Tasche feststeckte, den Lodenmantel über den Kopf und versetze ihm mehrere Fausthiebe gegen den Schädel. Hoffmann sackte in Himmlers Ledersitz und wurstelte sich unter dem Mantel hervor, um dann die schallgedämpfte Waffe auf Schellenberg zu richten und abzudrücken.
    Schellenberg konnte sich gerade noch zu Boden werfen, bevor der Schuss sich löste und das Glas des Barschranks zerschmetterte.
    Noch immer mit dem Mantel und dem Schmerz in seiner rechten Hand kämpfend, drehte sich Hoffmann zur Seite, um wieder auf Schellenberg zu schießen, der jetzt direkt neben 132

    Himmlers Sitz lag, dürftig geschützt von der mächtigen Armlehne.
    Schellenberg blieb wenig Zeit zum Nachdenken. Er packte den roten Hebel neben Himmlers Sitz und zog mit aller Kraft. Man hörte ein lautes metallenes Kloink, so als schlüge jemand mit einem Riesenschraubenschlüssel gegen den Bauch der Condor, dann folgte ein Schwall eiskalter Luft, ein Schrei – und der Sitz samt Hoffmann verschwand durch ein großes, quadratisches Loch im Boden. Wenn Schellenberg den roten Hebel nicht so fest umklammert hätte, wäre er wohl ebenfalls aus dem Flugzeug gefallen. Während die untere Hälfte seines Körpers aus der Luke baumelte, hatte er kurz die Vision, wie Sitz und Mann sich in der Luft trennten, der Fallschirm aufging und Hoffmann in die Ostsee stürzte.
    Die eisige Luft kam wie ein Schock. Unfähig, mit der kältetauben anderen Hand am Rand der Luke nennenswerten Halt zu finden, schrie Schellenberg um Hilfe, aber seine Stimme war über dem Rauschen der Luft und dem Donnern der vier BMW-Motoren kaum zu hören. Er rutschte immer weiter aus dem Flugzeug, und die Hand, die den roten Hebel umklammerte, wurde mit jeder Sekunde gefühl- und kraftloser.
    Sein letzter Gedanke galt seinem Schwiegervater, Herrn Grosse-Schönepauck, einem Versicherungsdirektor, der jetzt die Lebensversicherung, die Schellenberg abgeschlossen hatte, würde auszahlen müssen. Er hätte so gern das Gesicht des alten Mannes beim Unterschreiben des Schecks gesehen! Im nächsten Moment spürte er, wie ihn jemand unter den Achseln packte, wieder in die Maschine hievte und von der offenen Luke wegwälzte.
    Erschöpft lag Schellenberg fast eine Minute lang da, bis eine Decke über ihn gebreitet wurde und eins der übrigen Besatzungsmitglieder, ein Hüne mit dem Abzeichen eines Funkers und Bordschützen, ihm beim Aufsetzen half und ein Glas Cognac in die Hand drückte.
    133

    »Hier«, sagte er. »Runter damit.«
    Der Mann spähte grimmig durch die offene Ausstiegsluke.
    »Und dann können Sie mir erzählen, was mit Hoffmann passiert ist.«
    Schellenberg kippte den Cognac in einem Schluck hinunter und musterte dann, an die Rumpfwand gelehnt, seine Kleidung, die klatschnass und voller Öl und Schmiere war. Er ging in die Bordtoilette, um sich zu waschen, und holte anschließend seine Tasche mit der sauberen Kleidung, unter der die Führerbriefe versteckt lagen. Während er sich umzog, lieferte er dem Mann, einem Luftwaffenfeldwebel, eine geschönte Version der Geschehnisse. Als er damit fertig war, sagte der Fliegerfeldwebel: »Hoffmann hat einen Anruf gekriegt, in Tempelhof,

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