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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Kollegen lachten über ihn, nicht etwa über seinen gockelhaften Gang und auch nicht über seine protzige dunkle Sonnenbrille. Das Problem war, daß Kukoo ein Mann war. Jedem, der sich die Zeit nahm, ihm zuzuhören, erzählte Talpade, daß Kukoo schön sei wie ein Kashmiri-Apfel, daß niemand den zarten, verhängnisvollen Zauber ihrer Nakrahs leugnen könne. Kukoo behauptete, sie sei neunzehn, aber sie hatte während der vergangenen fünf Jahre in verschiedenen Bars getanzt, also war sie bestimmt fünfundzwanzig, mindestens aber zweiundzwanzig. Ihr dichtes glattes, golden schimmerndes Haar fiel ihr weit über den Rücken herab, ihr keckes Hinterteil war staunenswert gerundet, und ihre üppigen Lippen waren ein Gedicht wert. Doch es bestand nicht der geringste Zweifel, daß Kukoo ein Mann war, und sie versuchte es auch gar nicht zu verbergen. Sie hatte einen schmalen, langen Brustkorb, und ihre Stimme klang rauh. Dennoch wuchs ihre Anhängerschaft, während sie von Bar zu Bar zog, ebenso wie ihr Einkommen.
    Warum also machte sich Talpade für Kukoo zum Narren? War er - ungeachtet seiner langjährigen Ehe und seiner drei Kinder - doch ein Gaandu, im wahrsten Sinne des Wortes? Die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen waren davon überzeugt. Seine Freunde aber und jene, die Kukoo nahestanden, wußten, daß er sie nicht anrührte. Nicht, daß sie etwas dagegen gehabt hätte, nein, Kukoo hatte ein feines Gespür dafür, wie weit man einen Mann reizen konnte, und vor allem war sie praktisch veranlagt. Sie wußte, wann sie schüchtern und wann sie forsch sein mußte. Talpade aber hatte gar nicht den Wunsch, sie zu packen, sie an sich zu drücken und zu besitzen, er war es zufrieden, an seinem gewohnten Tisch links von der Tanzfläche zu sitzen und sie anzuschauen. Und sie war in der Tat sehenswert, wie sie auf der silberglitzernden Fläche über der wirbelnden Lotosblüte ihres langen Faltenrocks schwebte. In dem raffinierten schwarz-roten Licht war sie schöner als jedes andere Mädchen in der Bar, anmutiger als irgendeine Frau auf der Straße. Talpade trank Old Monk und schaute ihr zu. Geld gab er ihr erst, kurz bevor er ging, nie rief er sie wie andere Männer an seinen Tisch, damit sie es sich holte, nie erwartete er mehr von ihr als ab und zu einen Blick und ein Lächeln. Er unterhielt sich gern mit Freunden, die in den Club kamen, er scherzte mit den Kellnern, seine Fixierung auf Kukoo war nicht so zwanghaft, daß sie beängstigend gewesen wäre, aber es war offenkundig, daß nur Kukoo ihm etwas bedeutete.
    Sein bester Freund David ergriff einmal, als er ziemlich betrunken war, Talpades Hand und sagte: »Los, du Idiot, faß das Ding zwischen ihren Beinen an, dann weißt du, was sie ist.«
    Talpade sagte: »Ich weiß, daß sie keine Frau ist.«
    »Und?«
    »Ich schau sie gern an.«
    »Und warum?«
    »Das ist einfach schön.«
    Mehr sagte er nicht. David beschimpfte ihn, weil er sich in aller Öffentlichkeit lächerlich mache, weil er Geld ausgebe und nichts dafür bekomme, weil er einfach dumm sei. Talpade lächelte nur und wandte seinen Blick wieder Kukoo zu.
    Zwei Monate später rief Kukoo David an und erzählte ihm, daß Talpade neuerdings weine, während er ihr zuschaue. Drei Abende gehe das nun schon so, er sitze wie immer stundenlang da, bis er schließlich anfange zu weinen, lautlos und ohne unglücklich zu wirken. »Jetzt ist er vollends verrückt geworden«, sagte Kukoo. Sie wollte, daß David ihr Talpade vom Hals schaffte, er deprimiere sie mit seinen großen Augen voller Tränen und störe die anderen Gäste, die ja kämen, um sich zu amüsieren, und nicht, um zu trauern.
    Diesmal fragte David den Freund ganz sanft »Warum?«, und Talpade antwortete: »Sie erinnert mich an meine Kindheit.«
    Man führte ihn hinaus und brachte ihn nach Hause, zu Bett. Seine Familie zog Ärzte zu Rate, wachte sorgsam über ihn, tröstete ihn und achtete darauf, daß er die verordnete Ruhe hielt. Am zweiten darauffolgenden Montag ging er wieder zur Arbeit, und noch am selben Abend saß er im Golden Palace, wo Kukoo inzwischen tanzte. Als er von neuem mit seinem Tamasha anfing, ließ sie ihn von den Türstehern hinauswerfen, folgte ihm auf die Straße und schrie ihn an: »Laß mich in Ruhe!« Früher hatte sie Angst vor ihm gehabt, jetzt sagte sie nur: »Mach hier kein Theater wegen nichts, du Idiot. Ich will dich nicht mehr sehen.«
    Talpade gehorchte. Er versuchte nie wieder, sie zu sehen. Er lebte sein Leben weiter, aber er

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