Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
nahmen das Tuch fort, in das man ihn nach der Obduktion gehüllt hatte. Dann setzten sie ihn auf einen Stuhl und wuschen ihn. Die Wunde weit unten an der linken Halsseite war genäht worden. Sie schien zu klein, um einen Mann mit einem so imposanten Bauch und so breiten Schultern töten zu können. Der lange Obduktionsschnitt war mit dickem schwarzem Faden zugenäht worden. Katekars Haut erinnerte in Farbe und Struktur an Pappe, die nach einem starken Monsunregen schnell wieder getrocknet ist, und Sartaj vermied es, ihn anzuschauen. Er drückte sich in eine Ecke, wandte den Blick ab von den Männern und Frauen, die zur Tür hereindrängten, und versuchte die Aufkleber auf den Kassetten zu lesen, die sich neben dem Recorder am anderen Ende des Raumes stapelten. Er hörte Katekars Frau mit einem Nachbarn beratschlagen, wieviel Petroleum man brauchen würde, wieviel Kuhdung, wieviel Holz. Man zog Katekar frische Sachen an und legte ihm seine schwere Stahlarmbanduhr um. Seine Frau kniete nieder und streifte ihm mühsam seine Chappals über. Sie hielt die Ferse fest, schob die Sandale über den Fuß und spreizte sanft den großen Zeh ab, um ihn durch die Lederschlaufe führen zu können. Dann strich sie ihm Gulal auf die Stirn und tupfte ein rotes Tikka darauf, den Kopf schräg gelegt, die Züge ernst und konzentriert. Eine andere Frau brachte ihr eine kleine flache Metallschale, ein Zündholz zischte und beschrieb einen aufflammenden Bogen, und Sartaj nahm den Geruch von Räucherstäbchen und brennendem Ol wahr. Die Frau ließ die Schale langsam um Katekars Kopf und Schultern kreisen. Sie weinte.
    Sie gingen zum Shamshan Ghat 222 , dem Verbrennungsplatz. Ein anderer Polizist trug einen Tonkrug mit Wasser, das bei jedem Schritt rhythmisch gluckste. Dicht hinter ihm folgte ein weiterer Polizist und streute Körner und Gulal auf den Weg. Sie betraten den Shamshan durch ein schwarzes Eisentor. Als Sartaj unter dem hohen Wellblechdach stand, hörte er von jenseits der Mauern Verkehrsrauschen und Stimmen, lärmende Schulkinder, die schrillen Rufe eines Gemüse-vaalas. Über der Mauer sah man durch herabhängende Äste die Schilder auf der anderen Straßenseite und ein hohes Bürogebäude. Katekar wurde auf das Holz gelegt. Ein Mann trat vor, den Sartaj kannte: Potdukhe, ein älterer Polizist, der im vergangenen Jahr pensioniert worden war. Er hielt eine Rasierklinge in der Hand. Er faßte Katekars weißen Ärmel und schlitzte den Stoff mit einer schnellen Bewegung von der Schulter bis zum Handgelenk auf. Sartaj zog die Schultern hoch: Das Zischen der Klinge drang durch alle Straßengeräusche zu ihm durch. Er mußte schlucken und regte sich nicht. Potdukhe schlitzte den anderen Ärmel auf und öffnete dann Katekars Hosenknöpfe - die Seele durfte durch nichts behindert werden.
    Draußen näherten sich Autos, und gleich darauf betrat Parulkar den Shamshan Ghat. Er schritt geradewegs auf Katekar zu und blieb einen Moment bei ihm stehen. Dann trat er zurück, stellte sich neben Sartaj und drückte ihm das Handgelenk. Sie warteten.
    Die Frauen standen auf der anderen Seite des Platzes an der Mauer. Uniformierte Polizisten waren in einer Reihe angetreten und drehten sich nun um, stampften auf, hoben das Gewehr an die Schulter und zielten auf irgend etwas hoch in der Luft. Katekars Söhne, die noch bei den Frauen standen, zuckten zusammen, als die Schüsse knallten. Dann wurden sie nach vorn geführt, zwischen den Männern hindurch, die um die Bahre standen. Potdukhe legte dem Älteren die Hand auf die Schulter und führte ihn im Kreis um seinen Vater herum. Der Sohn - wie hieß er noch? Wie hieß er? - trug den Tonkrug, aus dem das Wasser durch ein Loch auf den Boden spritzte. Ein Priester im Dhoti 169 trat vor, in der Hand einen Holzspan, an dessen Ende Flammen züngelten. Plötzlich wollte Sartaj Katekars Gesicht sehen. Er trat nach links, aber der Holzstoß war so hoch, daß er nur ein Stück weißes Tuch, das Kinn und die Nase erkennen konnte. Er ging langsam nach rechts. Er wollte Katekar unbedingt ganz sehen, nicht nur in Ausschnitten, aber es war zu spät. Der Priester hatte den Sohn an der Hand gefaßt und zeigte ihm, wie er mit einem Stock an den Kopf seines Vaters tippen mußte. Es war eine leichte symbolische Berührung, doch gleich darauf würde der eigentliche Schlag von der Hand des Priesters den Schädel spalten. Sartaj schluckte. An diesem Punkt einer Bestattung wurde ihm jedesmal übel. Es war notwendig, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher