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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Rimzim mehr gab, Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten wegen des Wassers der Flüsse, das Fehlen englischsprachiger Schulen für Kinder, deren Eltern nicht gerade Geld wie Heu hatten, die Darstellung der Polizei im Film, unbezahlte Überstunden, die Arbeit und noch einmal die Arbeit. Wenn man mit allem anderen durch war, gab es immer noch die Arbeit: die unsäglichen Arbeitszeiten, die Monotonie, die politischen Komplikationen, der Undank, die Erschöpfung.
    Sartaj gähnte. An dem Metallzaun stand eine Reihe Kholis mit Blechdächern. Einige hatten zwei Etagen; in den ersten Stock gelangte man über eine angelehnte Leiter - nicht viel mehr als ein Pfahl mit Querzapfen. Weiter hinten befand sich ein stabil wirkendes Haus aus Backstein noch im Bau, in einem anderen brannte hinter einem mit Zeitungspapier verhängten Fenster Licht. Hierher sollten die Apradhis kommen. Nicht weit von dem erleuchteten Fenster lagen PSI Kamble und vier Polizisten in Tücher gehüllt auf dem Gehsteig und versuchten, wie tief und fest schlafende Arbeiter auszusehen. An einer Ziegelmauer in ihrer Nähe türmte sich mehr als mannshoch ein Abfallhaufen. Sartaj war in den letzten Jahren viele Male an diesem übelriechenden Berg vorbeigekommen, der bald weiter angewachsen, bald geschrumpft, aber nie ganz verschwunden war. Von weitem sah man die neonblauen, -grünen und -gelben Plastiktüten aus ihren archäologischen Schichten hervorleuchten. Als Einsatzleiter genoß Sartaj das Privileg, sich von dem überwältigenden Gestank fernhalten zu können. Kamble und seine Leute dagegen bekamen ihn direkt in die Nase, und Sartaj wußte, daß sie ihn verfluchten. Bei der Vorstellung, wie sich Kamble ein parfümiertes Taschentuch an die Nase hielt, mußte er lächeln.
    Katekar hielt mitten in seiner Schimpftirade inne. Zwei Männer kamen wankend die Straße herauf. »Betrunkene«, sagte Katekar, und so war es auch. Sie waren nur zu zweit, und die Apradhis würden wohl kaum betrunken zu einem Hehler torkeln, um Geld bei ihm abzuholen. Trotzdem ließ Sartaj die beiden nicht aus den Augen. Kichernd gingen sie vorbei. An der dritten Seitengasse links lag eine Country-Bar und daneben eine Spielhölle. Die beiden Betrunkenen waren bester Laune; sie würden erst nach dem Aufwachen am Morgen merken, wieviel Geld sie verloren hatten. Sartaj schaute ihnen nach, und schon jetzt kroch ein warmes Kribbeln der Befriedigung seine Schultern hinauf. Er würde die Apradhis fassen, er würde die Dreckskerle festnehmen und danach gut schlafen. Er hatte Wasim Zafar Ali Ahmad einen Gefallen getan, und jetzt war er an der Reihe.
    Katekar war der Stoff zum Nörgeln für den Moment ausgegangen, und so erzählte er eine Polizeistory. Früher, sagte er, ganz zu Beginn seiner Laufbahn, habe er einen in Ehren ergrauten Inspektor namens Talpade gekannt. Knorrig und verhutzelt sei dieser Talpade gewesen und seine Weste voller Flecke, nicht nur von dem Paan, das er ständig kaute, sondern auch von den vier Korruptionsskandalen, die er unbeschadet überstanden hatte. Man erzählte sich - und glaubte es im allgemeinen auch -, er habe in seiner Laufbahn über ein Dutzend Unschuldige bei Unruhen oder in Feuergefechten erschossen. Einmal hatte er einen Apradhi im Gefängnis totgeprügelt und war daraufhin elf Monate lang vom Dienst suspendiert gewesen, bis es ihm gelang, sich aus der Affäre zu ziehen, hauptsächlich indem er Geld die Hierarchie hinauf und hinunter verstreute, so daß selbst seine glühendsten Bewunderer und erbittertsten Feinde staunten.
    Zwei Jahre vor seiner Pensionierung verliebte sich Talpade in eine Tänzerin. Es hatte etwas Bewundernswertes, daß ein Mann seines Alters noch zu solcher Leidenschaft fähig war. Aber natürlich machte er sich lächerlich: Er ließ sich neue Kleider schneidern, sein Haar war plötzlich wieder pechschwarz, und seine Zähne schimmerten geradezu gespenstisch weiß. Doch seine Hingabe verdiente Anerkennung und Respekt. Nacht für Nacht lag er seiner Angebeteten zu Füßen, er fuhr sie von der Bar, in der sie arbeitete, nach Hause und überbrachte ihr Nachrichten ihrer Liebhaber. Ja, sie hatte andere Männer, jüngere, schönere, doch Talpade nahm diesen Schmerz als Preis für ihre Nähe hin und ertrug ihn in dankbarer Demut. Er war wie verwandelt. Etwas Neues regte sich unter den uralten Falten, den bitteren Furchen in seinem Gesicht, und man brauchte nur eine Minute mit ihm zusammen zu sein, um zu wissen, daß es Freude war.
    Seine

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