Der Pate von Bombay
wollte keine Antworten. Für ihn war der Fall erledigt.
»Ich muß zurück«, sagte Anjali Mathur schließlich. »Nach Delhi. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie weiter ermitteln würden. Das wäre nur logisch, jeder würde es erwarten. Wenn Sie etwas erfahren - hier ist meine Nummer in Delhi. Bitte rufen Sie mich an.«
Er nahm die Karte und erhob sich. »Gut«, sagte er.
Sie nickte, aber er wußte, daß sie seine Nervosität bemerkte, seinen Wunsch, den Raum auf der Stelle zu verlassen. Draußen saß Kamble auf der Besucherbank, die Beine bequem übereinandergeschlagen.
»Also, was ist passiert, Boß?« fragte er mit seinem üblichen anzüglichen Grinsen.
»Nichts«, sagte Sartaj. »Gar nichts. Nichts ist passiert. Und es wird auch nichts passieren.«
Das normale Leben hatte seine eigenen schmackhaften Freuden. Sartaj aß gerade mit Kamble ein extrem scharfes Chicken Hyderabadi, als sein Handy klingelte und langsam über die Tischplatte zu wandern begann. Wasim Zafar Ali Ahmads Nummer erschien auf dem Display.
»Are, eine Papierserviette!« rief er dem Kellner zu und griff nach dem Handy. »Bleiben Sie dran«, konnte er gerade noch sagen, dann bekam er einen Hustenanfall.
»Trinken Sie einen Schluck Wasser, Saab«, sagte Kamble väterlich, als Sartaj endlich das Handy am Ohr hatte.
»Was wollen Sie?«
»Sie essen gerade, Saab. Ich hab das Dessert für Sie.«
»Den Bihari und die Jungen?«
»Ja.«
»Wo? Wann?«
»Sie holen heute nach Mitternacht Geld von einem Hehler.«
»Wann nach Mitternacht?«
»Ich weiß nur, daß sie sich nach Mitternacht treffen, Saab. Sie scheinen vorsichtig zu sein. Aber ich habe die genaue Adresse.«
Sartaj notierte die Straße, den Weg dorthin und den Namen des Hehlers. Wasim war äußerst präzise. »Auf der Seite der Bahnlinie stehen viele Kholis, Saab, da sind immer Leute unterwegs, auch spätnachts. Sie müssen vorsichtig sein, sonst gibt es Probleme.«
»Wir haben schon tausendmal Leute festgenommen, Chutiya. Das wird diesmal auch nichts Besonderes sein.«
»Ja, Saab, Sie haben so was natürlich im Griff. Ich wollte nicht -«
»Wichtig ist nur, daß die Information stimmt. Sie stimmt doch?«
»Hundertprozentig, Saab. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich dafür durchgemacht habe.«
»Sagen Sie's mir nicht. Lassen Sie Ihr Handy heute nacht eingeschaltet.«
»In Ordnung, Saab.«
Sartaj legte auf. »Was haben Sie heute abend vor?« fragte er Kamble.
Sartaj und Katekar warteten. Sie hatten sich verkleidet: zerlumpte Banians, schmutzige Hosen und alte Turnschuhe. Sartaj hatte sich einen alten Patka locker um den Kopf gewickelt und hinter die Ohren geklemmt; er fand, er sah aus wie ein lässig-verwegener Thelavaala. Sie saßen zurückgelehnt unter einem auf den Gehsteig geschobenen Karren, gegenüber einem eisernen Zaun, der auf der anderen Straßenseite am Bahndamm entlanglief. Katekar klagte über die überfüllten Züge. »Dieses Land ist einfach hoffnungslos«, sagte er. »Die Leute kriegen so hirnlos Kinder, wie irgendwelche Straßenköter Junge kriegen. Deswegen funktioniert hier nichts, jeder Fortschritt wird von neuen Mäulern, die gestopft werden müssen, zunichte gemacht. Wie soll es da vorwärtsgehen?« Das war eines seiner Lieblingsthemen. Gleich würde er für eine technokratische Diktatur plädieren, für die Registrierung aller Bürger, für Personalausweise, eine strikte Politik der Geburtenkontrolle. Ein fast leerer Zug ratterte vorüber, und sie verstummten. Tagsüber klammerten sich die Leute mit Fingerspitzen und Zehen an die Türen, ganze Menschentrauben, die über die Gleise hinausquollen. »Fast eine Stunde seit dem letzten Zug«, sagte Katekar. Es war kurz vor halb drei. »Ein Wolkenbruch, und die Züge fahren gar nicht mehr. Diese verrottete Hauptlinie - wenn da zehn Jungs nebeneinander auf die Gleise pinkeln, bricht alles zusammen.«
Sartaj nickte. Katekar hatte in allem recht, und es war erholsam, unter einem Thela 628 zu liegen und zu schimpfen. Sie hatten sich schon über die Stadtverwaltung beschwert, über die Strafversetzung ehrlicher Beamter und Polizisten, überteuerte Mangos, den Verkehr, die ausufernde Bautätigkeit, eingestürzte Gebäude, verstopfte Abflüsse, das widerspenstige, unzivilisierte Parlament, Erpressung von Seiten der Rakshaks, schlechte Filme, das uninteressante Fernsehprogramm, die amerikanische Einmischung in Angelegenheiten des Subkontinents, die Tatsache, daß es an den Limonadenständen kein
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