Der Pate von Bombay
gebraucht, Sartaj-saab«, sagte er. »Für all die Drecksarbeit, die auf dieser Welt getan werden muß.«
»Seit wann sind Sie unter die Philosophen gegangen, Chutiya? Sie haben bisher nie Ausreden gebraucht, also geben Sie jetzt nicht der Welt die Schuld. Wer wartet auf mich?«
»Ihre CBI-Freundin, Boß. Haben Sie so viele Freundinnen, daß Sie schon nicht mehr wissen, welche Sie besuchen kommt?«
Anjali Mathur war auf dem Revier. »Wo?« fragte Sartaj.
»In Parulkar-saabs Büro.«
»Ist Parulkar-saab da?«
»Nein, er hat einen Anruf bekommen und mußte schnell weg, zu einer Besprechung mit dem CM im Juhu Centaur.«
»Mit dem CM? Wie beeindruckend.«
»Ja, unser Parulkar-saab ist ein sehr beeindruckender Mann. Aber Ihre Chawi scheint er nicht besonders zu mögen, Sartaj-saab. Er hatte so einen Blick ... Vielleicht ist er selbst scharf auf sie.«
Sartaj klopfte Kamble auf die Schulter. »Sie haben eine schmutzige Phantasie. Mal sehen, was es gibt.« Er ging den Flur hinunter. Kamble war in der Tat schmutzig, aber vielleicht hatte er an dem Schmutz, in dem alle schwammen, einfach mehr Spaß. Auf jeden Fall kannte er sich in der Politik des Hauses aus, und nichts, was dort vorging, blieb ihm verborgen. Sartaj nickte Sardesai zu, Parulkars Assistenten, der ihn hereinwinkte. Sartaj klopfte an und betrat das Büro seines Vorgesetzten. Anjali Mathur saß allein auf dem Sofa hinten im Raum.
»Namaste, Madam«, sagte Sartaj.
»Namaste. Bitte nehmen Sie Platz.«
Sartaj setzte sich und berichtete ihr, was er von Mary erfahren hatte - herzlich wenig. Wie immer hörte sie ihn an und saß dann vollkommen still da. Sie dachte nach. Diesmal trug sie ein dunkelrotes Salvar-kamiz. Weinfarben, dachte Sartaj. Ein interessanter Farbton auf ihrer dunkelbraunen Haut, im Gegensatz zu dem weiten Schnitt, der nichts Individuelles hatte. Ebenso unzugänglich wirkte ihr Gesicht. Nicht feindselig, nur zurückhaltend, verschlossen.
»Shabash«, sagte sie. »Jedes Detail ist wichtig, das wissen Sie ja. Man weiß nie, wodurch sich ein Fall erschließt. Also, ich habe Ihnen zwei Dinge zu sagen. Erstens: Delhi hat beschlossen, die Ermittlungen einzustellen. Was uns interessiert hat, war Ganesh Gaitondes Rückkehr nach Mumbai. Was wollte er hier? Die bisherigen Erkenntnisse reichen allerdings nicht aus, um weitere Nachforschungen zu rechtfertigen, meint man in Delhi. Gaitonde ist tot, und damit ist der Fall erledigt.«
»Aber Sie glauben nicht, daß er erledigt ist.«
»Ich verstehe nicht, warum er hier war, warum er sich umgebracht hat, wonach er gesucht hat. Nach wem er gesucht hat. Aber man hat mich nach Delhi zurückbeordert. Man ist der Meinung, es gebe Wichtigeres zu tun.«
»Auf nationaler Ebene.«
»Ja. Auf nationaler Ebene. Ich würde es trotzdem sehr begrüßen, wenn Sie die Sache weiter im Auge behielten. Ich weiß Ihren Einsatz sehr zu schätzen. Und wenn Sie weitermachen, bekommen wir vielleicht doch ein paar Antworten auf unsere Fragen.«
»Warum interessiert Ganesh Gaitonde Sie so? Er war ein ganz normaler Gangster. Und er ist tot.«
Sie überlegte einen Moment, erwog ihre Möglichkeiten. »Ich darf Ihnen nicht viel sagen. Aber vielleicht soviel: Gaitonde hatte Verbindungen zu äußerst wichtigen Leuten, und was immer ihn hierher zurückgeführt haben mag, es könnte Auswirkungen auf künftige Ereignisse haben.«
Und ich soll meinen Kopf riskieren, dachte Sartaj. Ich soll mich mit Angelegenheiten des Research and Analysis Wing befassen. Internationale Machenschaften, verwegene Operationen in anderen Ländern. Der James Bond vom Lande. Ihm erschien dieser ganze finstere Spionagekram völlig unwahrscheinlich und sehr weit vom normalen Leben entfernt. Aber nun saß die ernste kleine Anjali Mathur in ihrem dunkelroten Salvar-kamiz vor ihm auf dem Sofa. Und sie interessierte sich für das Leben und Sterben Ganesh Gaitondes.
Die nächste Frage lag auf der Hand, doch Sartaj hütete sich, sie zu stellen: Warum interessiert sich der RAW überhaupt für unseren Freund Ganesh Gaitonde? Vielleicht waren einige der wichtigen Leute, zu denen Gaitonde Verbindungen gehabt hatte, Mitglieder des RAW vielleicht hatten zwischen der Organisation und Gaitonde irgendwelche Geschäfte stattgefunden - Sartaj wollte es gar nicht wissen. Er wollte nicht mehr mit der schweigenden Anjali Mathur in diesem Raum sitzen. Er wollte in sein eigenes Leben zurück. »Ja«, sagte er, »durchaus möglich.« Er verstummte. Er hatte keine Fragen, er
Weitere Kostenlose Bücher