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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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am Sinken, rechts und links erstreckte sich schwarz die Küste, nur Fels und aufragende Kanten. Die Bäume waren völlig reglos, kein Blättchen rührte sich. Irgendwo da draußen waren andere Länder, schliefen Millionen von Menschen. Ich sah sie vor mir, wie sie aneinandergeschmiegt dalagen, mit entspannten Gesichtern. Hinter mir saß Chhota Badriya und aß. Ich mußte mich umdrehen. Vielleicht war er noch nicht fertig. Aber wenn er fertig war, würde er aufblicken, mich ansehen. Ich riß mich zusammen, holte einmal tief Luft, dann ein zweites Mal, das sanfte Rauschen des Meers war nicht fern, dann drehte ich mich um. Er aß noch. Seine Wangen waren voll, gerundet, in Bewegung. Jetzt war noch ein Bhajiya übrig. Die Pistole glitt mir in die Hand. Sie schwang nach oben. Ich schwang sie nach oben, und ich war gewissenhaft, sachlich, korrekt. Achte auf das Gleichgewicht. Ziele sorgfältig. Höre nichts. Sieh nur dein Ziel, sonst gar nichts. Dieses schmale Stück braune Haut oberhalb des Ohrs, vorn, unterm Haaransatz.
    Sein Blut zischelte. Der Schuß muß gekracht haben, aber in der engen Tunnelröhre meines Zielens hörte ich nichts, erst im nächsten Moment begriff ich, daß das Blut aus einem eben zerschmetterten Schädel schäumte. Ein schnelles, unregelmäßiges Sprudeln. Nur einen Moment lang.
    Bunty schob die Tür langsam auf, die Pistole im Anschlag. Er senkte sie. Ein zweiter Schuß war nicht nötig.

    Ich war glücklich. Ich verstand jetzt, was Paritosh Shah gemeint hatte, als er mir sagte, ich müsse zur Ruhe kommen, und warum er immer die Vorzüge der Ehe gepriesen hatte. Ich war endlich zur Ruhe gekommen, fühlte mich am richtigen Ort, verwurzelt, auf eine mir völlig neue Art mit dem Boden unter meinen Füßen verbunden. Ich wußte, wer ich war, hatte nicht mehr das Gefühl, ich versuche permanent, Ganesh Gaitonde zu werden, die Konturen des Ganesh Gaitonde zu definieren. Nun, da ich Subhadra an meiner Seite hatte und akzeptierte, daß ich ein Hindu-bhai war, überhaupt ein Hindu war, fühlte ich mich wie eine reale Person. Ich war kein lendenlahmer, geplagter Ehemann - ich nahm immer noch Jojos Frauen -, und ich hatte nicht angefangen, Götter und Göttinnen anzubeten. Ich war jetzt ein Führer, mit dem die Jungs sich identifizieren konnten. Wir hatten unsere alte Mannschaftsstärke wieder erreicht. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich von Zufriedenheit erfüllt. Zunächst verwirrte mich das, diese Wärme, die sich in meiner Brust einnistete. Subhadra hatte Freude an den täglichen Verrichtungen einer Ehefrau, sie ordnete die Küchengeräte gern der Größe nach in blitzenden Reihen an, stellte mir morgens tänzelnd die Kleidung für den Tag zusammen und hob sie abends unverdrossen wieder vom Boden auf. Sie marschierte zielstrebig durchs Haus, den klimpernden Schlüsselbund an der Taille. Sie war schlank, nicht direkt hübsch, aber von angenehmem Äußeren, und wenn ich sie ansah, erfaßte mich nie die zornige Begierde, die manche Randis in mir weckten. Mit Subhadra wollte ich auf der Veranda sitzen, Ghavan essen und Tee trinken und den Abendhimmel betrachten. Draußen gingen unsere Kämpfe und Kriege weiter wie zuvor, doch sie fraßen mich nicht mehr auf. Wir siegten, verloren ab und zu, doch wir blieben stark und wuchsen, und ich war glücklich.
    Allerdings plagten mich körperliche Beschwerden. Mein Magen war immer wieder verstimmt, ich hatte einen blähenden Schmerz, der mich oft spätnachmittags quälte, ein Gefühl der Verstopfung und dann der Ausdehnung im Unterleib, als wollte etwas hinaus. Flatulenz, diagnostizierten die Ärzte und verschrieben mir Tabletten und leichte Kost. Doch nur Scotch half, beruhigte das Gewebe, nahm den plötzlichen Druck weg, der es zu zerreißen drohte. Ich durfte die Jungs nicht sehen lassen, daß ich trank, deshalb organisierte mir Bunty einen anderen, leichter zu erreichenden Bungalow in Juhu, nicht weit vom Holiday Inn. Jeden zweiten Tag fuhr ich zu dieser Zuflucht am Meer, wo Bunty in einem verschlossenen Geschirrschrank eine Flasche Johnny Walker und im Kühlschrank Soda für mich aufbewahrte. Ich setzte mich bei Sonnenuntergang allein auf die Terrasse und trank. Zwei Gläschen gestand ich mir zu. Der Alkohol beruhigte mich, doch er führte zu Anwandlungen von Nostalgie. An manch einem Abend weinte ich jener fernen Zeit mit Paritosh Shah nach, als wir noch jung und arm gewesen waren, unüberwindliche Schwierigkeiten bewältigt und Bösewichter von monströser

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