Der Pate von Bombay
ließ, war er da, es war Bada Badriya, ganz bestimmt.
Ich blieb bis zum Morgen so sitzen, ignorierte Subhadras schläfrige Rufe, schaute mir immer wieder diesen Moment an, seine Bewegung vom Stuhl herunter in einen von der Kamera nicht mehr erfaßten Bereich, bis ich sie in meinen eigenen Schultern und Hüften spürte, ich wußte, wie es war, sanft von einem Stuhl zu gleiten, Reflexe zu besitzen, die auf eine plötzlich nahende Bedrohung reagieren, auf das Objektiv einer Kamera oder den Lauf einer Pistole, Muskeln, die sich mit solcher Eleganz und Schnelligkeit spannten, ich war er, ich wußte, warum er es getan hatte. Um des Geldes willen, um des Aufstiegs willen, aus Wut über das ewige Leibwächterdasein, aus Verachtung für den Mann, den er bewachte, aus dem Gefühl heraus, daß er Besseres verdiente. Und Suleiman Isa hatte ihm Geld gegeben, das wußte ich, und ihm noch weitaus mehr versprochen. Suleiman Isa hatte Bada Badriya eine neue Version von Bada Badriya versprochen, eine größere und bessere. Deshalb war Paritosh Shah gestorben. Als ich das Video ansah, wußte ich es.
Ich nahm die Kassette heraus, löschte das Licht und ging durch den Flur zum Schlafzimmer. Auf halbem Weg blieb ich stehen, stand wie gelähmt da, das Video an meine Brust gepreßt. Es war klar, was mit Bada Badriya geschehen mußte. Er war so gut wie erledigt. Aber was war mit dem jüngeren Bruder, mit Chhota Badriya, meinem Chhota Badriya? Was war mit ihm, der mich täglich Bhai nannte? Der in diesem Moment in seinem Haus lag und schlief, keine fünf Meter von hier entfernt, von diesem Haus, das wir zusammen gebaut hatten? Ich traute ihm, zweifelte keine Sekunde an seiner Loyalität. Was sollte ich mit ihm tun, der mir treu ergeben war? Wenn sein Bruder starb, wenn ich seinen Bruder umbrachte, würde er es erfahren. Selbst wenn Bada Badriya geköpft in einem fernen Straßengraben aufgefunden würde, in Thane, im maderchod Delhi, selbst wenn ich Chhota Badriya sagte, daß Suleiman Isa es getan hatte, irgendwann würde er doch ins Grübeln kommen, mir ins Gesicht sehen und mich anzweifeln - Suleiman Isa würde ihm Informationen zukommen lassen, würde ihm Videos und Fotos schicken, auf denen Bada Badriya in Dubai in brüderlichem Beisammensein mit ihm zu sehen war, und Chhota Badriya würde sich an Paritosh Shah und mich erinnern, er würde mich anschauen und wissen, daß ich keine Wahl gehabt hatte, daß ich es hatte tun müssen, und er würde mich verabscheuen. Vielleicht würde er einsehen, daß sein Bruder etwas Verkehrtes getan hatte, aber er würde fortan neben mir stehen, hinter mir stehen und mich verachten. Es konnte nicht anders sein. So sind Brüder nun mal, das ist es, was im Mutterleib entsteht, diese unentrinnbare Bindung, dieser Haß. Würde er mir treu ergeben bleiben, wenn ich seinen Bruder gehen ließ, wenn ich vergab und vergaß?
Ich schloß die Schlafzimmertür hinter mir. Subhadra fragte schläfrig: »Bist du es?«
»Wer soll es denn sonst sein?« fauchte ich. »Vielleicht Suleiman Isa?« Ich lag starr neben ihr, außerstande, meinen rasenden Atem zu kontrollieren. Sie rollte sich eingeschüchtert und ängstlich zusammen. Ich hatte das Video unter den Fingerspitzen, Govindas tanzende Füße, und spürte in meinem durch die Adern drängenden Blut, daß jedes Geschenk ein Verrat ist, daß geboren zu werden heißt, getäuscht zu werden, daß uns nichts geschenkt wird, ohne daß uns etwas Größeres genommen wird, daß der Akt, zum Hindu-bhai Ganesh Gaitonde zu werden, selbst ein Mord war, der Mord an tausendenundeinem anderen Ich, ich hatte das Tosen von Wasser in den Ohren, von schäumendem, mondbeschienenem Wasser, und ein tiefes Stöhnen entrang sich meiner Kehle.
»Was ist denn los?« flüsterte meine Frau.
Ich drehte mich zu ihr, riß ihr Nachthemd hoch, hörte Knöpfe abspringen und Stoff zerreißen, drang in sie ein. Ihr Keuchen, ihre Schreie gingen im rasenden Frohlocken meiner Wut, im grollenden Ächzen meiner Bitterkeit unter.
Ich ließ Bada Badriya am nächsten Tag ergreifen. Meine Jungs holten ihn von seiner neuen Tankstelle in Thane weg. Er war berühmt für seine breiten Schultern und für ein Kunststück, das er gern vollführte: Er konnte einen Stuhl, auf dem ein Mann saß, hochheben und über seinen Kopf stemmen. Deshalb zogen die Jungs zu sechst los. Wenn er Ärger macht, sagte ich ihnen, schießt ihm in die Beine, aber bringt ihn mir lebendig. Sie warteten in einer kleinen Dhaba neben der
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