Der Pate von Bombay
Stunden Fahrt kam kein Tropfen, nichts. Trotzdem goß ich ein paar Becher Wasser in die Toilette. Verhalte dich möglichst normal, sagte ich mir. Mach ihm keine Angst. Das bist du ihm schuldig. Ich überprüfte meine Pistole, steckte sie mir wieder unters Hemd, ins Kreuz. Es war Jahre her, wirklich viele Jahre, daß ich eine Pistole benutzt hatte. Und damals hatte ich mit Revolvern, mit billigen Revolvern geschossen, nicht mit einer guten österreichischen Automatik-Pistole, wie ich sie jetzt besaß. Bunty hatte mich erst einweisen müssen: So schiebt man das Magazin ein, Bhai, dann zieht man das Verschlußstück zurück, und hier ist der Sicherungshebel. Er hatte mit mitfühlendem Blick gesagt: Sie müssen es nicht tun, Bhai, Sie wissen, daß ich das erledigen kann. Und ich hatte gesagt: Nein. Nein.
Ich öffnete die Tür. Chhota Badriya saß auf dem Bett und verstaute gerade das Geld, packte es ordentlich in eine blaue Reisetasche. »Alles in Ordnung, Bhai?«
» Wieso? «
»Sie wirken ein bißchen ... müde. Probleme mit dem Magen?«
»Ja. Mal wieder.«
»In unserem Klima muß man sehr vorsichtig sein. Es gibt einfach zu viele Keime überall, da verderben die Lebensmittel schnell. Und wir essen zuviel außer Haus, wissen Sie, all dieses fettige Zeug. Hausgemachtes, leichte Kost, das ist besser für den Magen.«
»Du und deine leichte Kost - trotzdem hast du den da.« Ich deutete auf seinen Bauch.
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte, nahm seine Speckfalten in beide Hände und hob sie an. »Ja, Bhai«, sagte er lächelnd. »Den habe ich. Was soll man machen? Wir sind halt reich geworden.«
»Wir sind alt geworden.«
»Wir sind noch jung, Bhai«, sagte er und wollte noch etwas hinzufügen, doch da klapperte es an der Tür, und Bunty kam rückwärts mit einem Tablett herein. Er stellte es aufs Bett, reichte mir eine Tasse Tee, und die Pupillen seiner fragenden Augen waren winzig, wie Nadelspitzen. Ich sagte nichts, er zog die Tür behutsam hinter sich zu, und nun hing ein leises Summen der Anspannung in der Luft, das Bunty mit seinem vorsichtigen Gang ausgelöst hatte. Vielleicht war es auch nur in meinem pulsierenden Blut. Chhota Badriya schaute immer noch zur Tür.
»Was wolltest du gerade sagen?« fragte ich mit zu lauter Stimme.
Er schaute wieder zu mir, den Mund konzentriert gespitzt, während er versuchte sich zu erinnern, doch dann breitete sich ein entspanntes Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Hab ich vollkommen vergessen, Bhai.«
»Du Idiot«, sagte ich. »Trink deinen Tee.«
»Also, die hier, Bhai, die machen richtig dick«, sagte er schlürfend. Er hielt eines der glänzenden braunen Bhajiyas hoch, von denen ein ganzer Berg auf dem Tablett lag. »In einem von diesen Dingern ist mehr Fett enthalten, als der Körper in einem ganzen Jahr braucht.« Er legte es vorsichtig wieder auf den Teller zurück und nahm einen großen Schluck Tee.
»Iß es.«
»Bitte?«
»Iß es«, wiederholte ich.
Er empfand eine Art Haß für diesen Berg von Bhajiyas, die eine mörderische Anziehung auf ihn ausübten, er wußte genau, welche Macht sie über ihn hatten. Er schob den Teller mürrisch weg. »Die tun mir nicht gut, Bhai. Ich bin zu fett.«
»Iß sie, iß sie«, sagte ich. »Ich erteile dir die Erlaubnis.«
»Ja?«
»Ja.«
Er nahm eins in die Hand, hielt es in die Sonnenstrahlen, betrachtete es eingehend. Er biß langsam ab, und seine Augen schlössen sich für einen Moment.
»Mmmm«, machte er. »Essen Sie doch auch eins, Bhai.«
»Nein, iß du sie ruhig. Schaffst du den ganzen Teller?«
»Die alle?«
»Ja.«
»Locker. So viele sind es ja nicht.«
»Dann iß sie alle auf.«
»Was, alle?« Jetzt sah er wirklich chhota aus, mit seinen glänzenden Lippen, seinen überrascht verzogenen Wangen und seinem offenen, strahlenden Jungengesicht.
»Das ist ein Befehl.«
Im Schneidersitz auf dem Bett sitzend, begann er zu essen. Mit ein paar Schlägen auf die Flasche beförderte er eine purpurrote Soße auf die Bhajiyas, dann hielt er sich den Teller vor die Brust und neigte den Kopf darüber. Jetzt, dachte ich. Doch die Pistole hing irgendwo fest, ich spürte, wie sie mir in die Wirbelsäule drückte. Ich würde aufstehen müssen, um zu ziehen. Nein, nein. Laß ihn erst fertig essen. Wenn er fertig ist. Jetzt noch nicht.
Der Berg war halb abgetragen. Ich stand auf, ging zum Fenster. Vom weißen Dach meines Wagens blitzte mir grelles Licht in die Augen, und ich blinzelte, wandte mich ab. Die Sonne war
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