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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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dreiundzwanzig-jährigen Fingern - tipptipptipp - durchs Internet sauste und sowohl das Gerät als auch das gesamte weltweite System dazu brachte, zu tun, was er wollte. Ich hatte ein paarmal mit Kaffeetassen und Tellern nach dem Computer geworfen, mich aber jedesmal wieder beruhigt und erneut an den Rechner gesetzt. Ich mußte diese kleinen Kisten verstehen lernen. Deshalb hatte ich Reddy eingestellt, und wenn nötig, würde ich noch hundert andere wie ihn einstellen.
    An diesem Abend forderte ich Reddy auf, den Mund zu halten und kommentarlos zuzusehen, wie ich den Computer einschaltete, mein Paßwort eingab, eine Verbindung zum Netz herstellte und verschiedene Websites aufsuchte. Er war mucksmäuschenstill, bebte jedoch vor Ungeduld angesichts meines langsamen Klickens und mühseligen Tippens nach dem Einfingersystem. Ohne den Blick von www.myindianbeauties.com abzuwenden, sagte ich: »Okay, Chutiya. Du machst mich nervös. Raus.«
    »Tut mir leid, Bhai.«
    »Bleib in der Nähe. Wenn ich dich brauche, rufe ich.«
    »Natürlich, Bhai.«
    Er schlurfte davon. Er hatte große Ambitionen und versuchte mich schon seit einer Weile dazu zu bringen, mit ihm und seinem Bruder in eine Website zu investieren. Doch er hatte mir noch nicht gezeigt, wie er damit Geld verdienen wollte - ich für mein Teil hatte noch nie für eine indische Schönheit im Netz gezahlt. Trotzdem redete er immer wieder davon und kam jeden zweiten Tag mit einer neuen Idee an. Als die Tür klickend ins Schloß gefallen war, lehnte ich mich zurück und verriegelte sie. Dann begab ich mich auf Guru-jis Website: www.eternalsacredwisdom.com .
    Guru-ji war beständig auf Reisen, durch die ganze Welt. Er hatte in hundertzweiundvierzig Ländern eigene Zentren, und in zwölf weiteren Ländern wurden gerade welche aufgebaut. Doch wo immer auf der Welt er sich gerade befand, was immer er gerade tat, auf seiner Website erschien alle drei Tage ein neuer Pravachan 497 . Man konnte seine Unterweisungen in hundert verschiedenen Sprachen lesen, darunter natürlich auch Marathi und Hindi. In letzter Zeit allerdings las ich Guru-jis Worte immer auf englisch. Es dauerte eine Weile und kostete mich beträchtliche Mühe, aber ich kam immer bis zum Ende. Ich hatte ein Fenster mit der Version in Marathi offen, um zur Not dort nachschauen zu können, im großen und ganzen hielt ich mich jedoch an die englische Version und absorbierte so nicht nur Weisheit, sondern auch Sprache. Guru-ji hatte mich für meinen Fleiß gelobt und mich im vergangenen Sommer sogar in einer seiner Unterweisungen über Zeitmanagement erwähnt, natürlich ohne meinen Namen zu nennen. »Ein erfolgreicher Mensch ist jemand, der nie aufhört zu lernen«, hatte er geschrieben. »Ich habe einen Bhakt, der außerordentlich erfolgreich ist, der weltweit Geld verdient und Respekt erntet. Doch trotz all seiner irdischen Errungenschaften ist er nicht arrogant. Er weiß, was er nicht weiß. Ein weiser Mann hat vor langer Zeit einmal gesagt: ›Zu erkennen, daß man nichts weiß, ist der Beginn aller Weisheit.‹« Und dann hatte er ausgeführt, daß ich, ebenjener Bhakt, seine Texte in einer Sprache las, die ich noch nicht beherrschte.
    Heute ließ sich Guru-ji über Sex aus. Er hatte keine Angst vor kontroversen Themen und scheute sich nicht, über Dinge zu sprechen, die womöglich Anstoß erregten. Er war furchtlos. »Das Zölibat wird in allen geistlichen Traditionen als Ideal hochgehalten.« Ich mußte den Begriff Zölibat in meinem Englisch-Marathi-Wörterbuch nachschlagen. »Aber es ist ein Fehler, das Zölibat anzustreben, wenn man nicht bereit dafür ist. Wenn man bereit ist, wird es sich von selbst einstellen. Ein Zölibat, das man sich aufzwingt, wird zu einer Form von Sinnlichkeit erblühen. Der Kampf mit dem eigenen Körper wird zur Passion. Und die fleischliche Begierde wird sich in jedem Fall Ausdruck verschaffen, sie läßt sich nicht eindämmen, sie läßt sich nicht verhindern, sie läßt sich nicht abtöten. Selbst das Bild, das man sich vom Zölibat macht, wird schön sein wie die Rundungen einer Frau, und die Hymnen, die man auf das Zölibat singt, werden sein wie der Kuß einer Liebenden.«
    Ich brauchte eine Viertelstunde für diese sieben Sätze, und zwar nicht nur, weil ich sie auf englisch las. Ich hielt zwischendurch inne, um über sie nachzudenken, sie wirken zu lassen, Guru-ji zu bewundern. Seine Sprache war so schlicht, so direkt, so kraftvoll, und zugleich gingen seine Worte so tief.

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