Der Pate von Bombay
auf der Hand lag, dann das. Er frustrierte mich, dieser Mistkerl von einem Guru. »Das ist etwas anderes«, sagte ich wieder. »Wir leben im Kaliyug, wir sind zum Kämpfen verdammt. Aber Sie gelten doch als heiliger Mann, Sie sollten uns ermahnen, nicht zu kämpfen.«
»Warum, Ganesh? Warum? Du bist sehr intelligent, aber selbst du bist in diese Falle gegangen. Selbst du. Allerdings ist das nicht deine Schuld, diese Propaganda ist derzeit weit verbreitet und auf der ganzen Welt populär. Aber halte dir unsere Geschichte vor Augen, Ganesh. Haben heilige Männer nicht auch früher schon gekämpft? Haben sie nicht Krieger in den Kampf geschickt? Bedeutet eine fortgeschrittene spirituelle Entwicklung etwa, daß man nicht zu den Waffen greifen sollte, wenn man mit dem Bösen konfrontiert ist?«
Und dann erinnerte er mich an Parshurama, den großen Weisen, der zu seiner Axt gegriffen hatte, um die Erde zu läutern. Und an Rama, den vollkommensten aller Menschen, der allen Widerständen zum Trotz zum Bogen gegriffen und gekämpft hatte. »Und was ist mit dem Rat, den Krishna auf dem Schlachtfeld Arjuna gab?« fragte mich dieser seltsame Guru. »Arjuna wollte friedlich sein. Er wollte sich von der Welt abwenden. Hätte er das tun sollen? Hätte Krishna ihn gehen lassen sollen?«
Ich mußte ihm recht geben: Es war offensichtlich, daß Krishna das Richtige getan hatte. Das sagte ich Guru-ji auch, woraufhin er mir von dem großen Shankaracharya und dessen Sieg über Krakacas Kapalika-Armee 313 erzählte. Und von dem Sannyasi-Aufstand, bei dem Sadhus und Fakire gegen die Ostindische Kompanie gekämpft hatten. »Wir müssen diesem sogenannten Frieden, der die Spiritualität nur schwächt und verwässert, widerstehen, Ganesh«, sagte er. »Wir müssen den Gesamtzusammenhang betrachten. Wir müssen erkennen, wann es nötig ist, zu kämpfen, um Frieden zu schaffen. Wir müssen stark in unserem Glauben sein. Unsere gesamte, Tausende von Jahren zurückreichende Geschichte liefert uns Beispiele dafür. Und wenn ich ein heiliger Mann bin, Ganesh, dann bist du auch einer.«
»Ich?«
»Ja, du.«
Ich war zu benommen und erschöpft von diesem Gespräch, um zu erwidern, daß ich an Religion und Spiritualität nicht glaubte. Ich legte auf und versuchte zu arbeiten, doch dieses Rätsel verfolgte mich den ganzen Tag: ich, ein heiliger Mann, ich, ein Mahatma. In dieser Nacht träumte ich von den großen Versammlungen der Naga Sadhus, die während der Kumbh Mela 351 nach Nashik kamen, von ihren mit Asche bedeckten, nackten Körpern, ihren verfilzten, langen braunen Haaren, die sich über ihre Schultern bis zu ihren Dreizacken und Schwertern hinunterringelten. Ich träumte von dem gewaltigen Gebrüll, das sich erhob, wenn die unzähligen Naga Sadhus zu ihrem Bad an die heiligen Wasser eilten, und von dem wilden Glitzern in ihren Augen. Ich sah einen kleinen Mann, einen friedlichen Mann, inmitten dieser guten und großen Sadhus, und empfand bittere Verachtung für ihn. Als ich aufwachte, raste mein Herz. Ich wandte meine Gedanken von Nashik ab, doch die Frage verfolgte mich die ganze Nacht: Was bedeutet es, heilig zu sein? Wer ist tugendhaft?
Als Guru-ji das nächste Mal anrief, sprachen wir über Gott. Ich sagte ihm, daß ich an so etwas nicht glaubte, die Religion sei ein Instrument, mit dem Politiker ihre Wähler geißelten und in Herden zum Schlachthof trieben. Ich sagte, der Glaube sei etwas für Männer, die nicht an sich selbst glaubten. Er widersprach mir nicht. Er hörte mir ruhig zu und sagte: »Das sind vernünftige Argumente. Es ist logisch gedacht.«
Damit nahm er mir völlig den Wind aus den Segeln. Ich hatte erwartet, daß er mit mir streiten, mich scharf zurechtweisen, mich womöglich einen sündigen Menschen schimpfen würde. Doch er tat nichts dergleichen, er respektierte meine Meinung. Er hörte mir ruhig zu und sagte: »Aber Ganesh, was ist mit all den Symmetrien auf der Welt?«
Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Er erklärte es mir: Für jedes Feuer gab es Wasser, für jedes Raubtier eine Beute, für jede Liebe Haß. Er sprach von Elektronen und ihrer Ladung, von seltsamen Anziehungen und Abstoßungen. Zwischenzeitlich vernahm ich seine Worte nur als sonores Psalmodieren, trotzdem verstand ich sie unmittelbar und tief in meinem Innern. Ja, zu jedem Ganesh Gaitonde gab es einen Suleiman Isa, zu jedem Sieg einen Verlust.
»Ja«, sagte ich also, »das verstehe ich. Alles existiert paarweise, in zweifacher oder noch
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