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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Rebellion gegen die eigentlich angemessene Scham gefangen. Wir leben wahrlich im Kaliyug, alles steht auf dem Kopf.«
    Unter den Nackten waren auch einige Frauen, und zwei von ihnen beobachteten uns nun. Die eine war hellhaarig, typisch deutsch, doch die andere hatte dicke schwarze Locken und war sehr groß.
    »Kommt«, sagte Guru-ji. Er faltete, zu den Mädchen gewandt, die Hände zum Namaste. »Sie werden noch denken, daß wir sie aus schmutziger Neugier betrachten.«
    Er wirbelte seinen Rollstuhl herum. Während wir uns vom Fluß entfernten, schaute ich mich noch einmal um und sah, daß die Dunkle uns weiterhin beobachtete. Guru-ji hatte recht, sie war schamlos, furchtlos. Kutiya. Doch bis wir am Parkeingang angekommen waren, hatte ich sie vergessen. Ich war bei Guru-ji und dadurch viel weniger reizbar als sonst. Meine Verärgerung kam und ging. Wir kehrten zur Villa zurück und aßen in dem großen Salon geruhsam zu Mittag, die Sadhus, Guru-ji und ich. Danach setzten wir uns in den Garten und genossen die Sonne. Ich war schläfrig und entspannt, zufrieden, überhaupt nicht traurig. Wenn dies ein Knotenpunkt in der Zeit war, dann waren all die Wahrscheinlichkeiten zu dieser Stille zusammengeflossen. Ich war im Frieden.
    »Es gibt da noch etwas, das du mir nicht gesagt hast, Arjun«, sagte Guru-ji plötzlich. »Das ist doch so?«
    Natürlich war da noch etwas. Ich hätte nicht so dumm sein dürfen, es ihm zu verschweigen. Er wußte immer Bescheid. Und das galt nicht nur für mich - auf seiner Website fanden sich die Berichte von Dutzenden, ja Hunderten seiner Anhänger, die seine Fähigkeit bezeugten, ihre Sorgen zu erspüren, hinter ihr Zögern zu blicken. Irgendwie wußte er Bescheid. »Es ist ziemlich belanglos, Guru-ji. Nach all den bedeutenden Dingen, über die wir gesprochen haben, kommt es mir albern vor, es überhaupt zu erwähnen. Deshalb habe ich nichts gesagt.«
    »Arjun, nichts ist belanglos, wenn es dich bedrückt. Ein kleines Sandkörnchen kann eine gewaltige Maschine blockieren. Dein Bewußtsein bestimmt die Welt, die du erschaffst, und wenn dein Denken behindert ist, bricht auch deine Welt zusammen.«
    »Es geht um dieses Mädchen.«
    »Die Muslimin?«
    »Ja.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Eigentlich nichts. Also - ich sehe sie nicht mehr so häufig wie früher. Sie ist sehr beschäftigt, mit ihrer Arbeit und all den Filmen. Und auch ich habe viel zu tun. Wenn wir uns treffen ist alles gut. Sie ist schön. Sie ist gefügig.«
    »Aber?«
    »Aber manchmal kriege ich Angst. Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob sie mich wirklich liebt. Ich schaue sie an, sehe ihr in die Augen, aber ich weiß es nicht. Sie behauptet, daß sie mich liebt. Aber tut sie es wirklich?«
    Guru-ji schüttelte den Kopf. »Das ist keine kleine Frage, Arjun. Das ist eine große Frage. Nicht einmal die Weisen können in das Herz einer Frau blicken. Vatsayayana hat geschrieben: ›Man weiß nie, wie tief eine Frau liebt, nicht einmal wenn man selbst der Geliebte ist.‹ Genau diese Erfahrung machst du gerade.«
    »Aber Sie, Guru-ji, wissen Sie es?«
    »Nein, ich weiß es nicht. Und selbst wenn ich dir sagen würde: ›Ja, sie liebt dich‹, was würde dir das nützen? Bist du dir sicher, daß es auch morgen noch so wäre? Frauen sind unberechenbar, Arjun. Sie können ihre Gefühle nicht kontrollieren, sie sind so wechselhaft wie Prakriti 493 selbst. Würdest du denn versuchen, das Wetter für seine Beständigkeit zu lieben oder einen Fluß dafür zu lieben, daß er bis in alle Ewigkeit an ein und demselben Fleck bleibt? Die körperliche Liebe ist keine Liebe. Sie ist nur eine momentane Betörung. Sie wird vergehen.«
    »Aber warum kommt das Mädchen dann immer wieder zu mir? Und täuscht mich?«
    »Sie ist skrupellos, Arjun. Solange sie von dir profitiert, wirst du das Gefühl haben, daß sie dich möglicherweise liebt. Das ist das Geschick der Hure. Es ist ein Geschick, das den Frauen im Blut liegt. Es ist nicht ihre Schuld, sie können nur so handeln, wie sie geschaffen sind. Sie sind schwach, und die Waffen der Schwachen sind nun einmal Lügen, Ausflüchte und Schauspielerei.« Ich muß wohl traurig oder erschöpft ausgesehen haben, denn er kam näher zu mir und legte mir eine Hand auf den Unterarm. »Man kann diese Wahrheit nur erfassen, indem man sie selbst erfährt, Arjun. Wenn ich dir gesagt hätte, daß du dich nicht mit ihr einlassen sollst, hättest du mir gehorcht. Aber du hättest mich womöglich für einen mißmutigen alten

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