Der Pate von Bombay
hinter mir gelassen. Ich wollte einen Strich unter unser Verhältnis ziehen und mich von ihr verabschieden. Ich verspürte keine Wut, keine Bitterkeit mehr und wollte unsere Beziehung ehrenhaft beenden, ohne Verwirrung oder Groll. Außerdem hatte ich Arvind schon länger nicht mehr gesehen, und ich legte Wert darauf, mich mit meinen wichtigsten Leuten regelmäßig zusammenzusetzen. Ich flog also nach Singapur, zwei Tage vor Zoya, und kam nachts dort an. Arvind holte mich ab, und auf dem Weg zur Wohnung beachteten wir die üblichen Sicherheitsmaßnahmen: Wir machten mehrmals kehrt, um nach Verfolgern und Beobachtern Ausschau zu halten, und wechselten auf halbem Weg den Wagen. Dieses Prozedere war uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ein fetter Mond stand tief am Himmel. Wir unterhielten uns über Geschäftliches, über Investitionen, über Personalprobleme. Und wir tratschten ein bißchen über einen von Suleiman Isas Unterbossen, einen gewissen Hamid. Dieser Hamid wohnte in Karatschi und hatte via E-Mail und Telefon eine Affäre mit der Frau seines obersten Controllers in Bombay gehabt, während der im Gefängnis vor sich hin moderte. Die Polizei hatte sämtliche Telefone der Frau angezapft, und Arvind, der kürzlich eine der Aufnahmen gehört hatte, machte jetzt für mich nach, wie die stöhnende und keuchende Randi Hamid telefonisch den Schwanz lutschte.
»Bhai«, sagte er, »wir leben wirklich in erstaunlichen Zeiten. Ihr Mann sitzt im Gefängnis. Und sie schickt Hamid per E-Mail Bilder von sich im Bikini.«
»Diese Managementstrategie hat doch durchaus was für sich. Die gibt unserem Versprechen an die Jungs, daß wir uns um ihre Frauen und Kinder kümmern, wenn sie im Knast sind, eine ganz neue Bedeutung.«
»Ja, Bhai. Immerhin saß ihr Mann zu dem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren im Knast. Und eine Frau hat schließlich gewisse Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen.« Arvind streckte den Arm aus dem Autofenster und schob eine Karte in einen Schlitz an der Wand, damit wir durch die doppelte Sicherheitstür des Apartmenthauses kamen. »Und wissen Sie was, Bhai, am Ende des Telefongesprächs sagt Hamid zu ihr: ›Was ich dir jetzt sage, habe ich noch nie jemandem gesagt: ›I love you.‹ Woraufhin sie antwortet: ›I love you.‹«
»Zu seinen eigenen drei Frauen hat er das jedenfalls bestimmt noch nie gesagt, der Dreckskerl.«
Arvind grinste. »Jedenfalls nicht auf englisch.«
Suhasini sah rund und glücklich aus, es war offensichtlich, daß Arvind ihr schon in vielen Sprachen gesagt hatte, wie sehr er sie liebte. Die Kinder schliefen bereits, aber ich blieb kurz an den beiden Zimmertüren stehen, um einen Blick auf sie zu werfen, den Jungen und das Mädchen. Ich sagte Suhasini, sie seien gewachsen, seit ich sie vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen hätte. Das war keine Schmeichelei. Obwohl sie im Bett lagen, konnte ich erkennen, wie unglaublich lang ihre Beine waren. Dabei waren sie erst sieben und fünf. Sie würden beide einen Meter achtzig groß werden, bevor sie aufhörten zu sprießen, diese absonderlichen Blumen aus Arvinds Garten. Ich aß etwas Reis mit Daal und unterhielt mich mit den stolzen Eltern über ihre rasanten kleinen Racker.
»Das hegt an dem vielen Eiweiß, Bhai«, sagte Suhasini und wischte sich mit dem Zipfel ihres Pallus über das üppige Kinn. »Als wir so klein waren, haben wir in Indien alle zuwenig davon bekommen. Wir waren mangelernährt. Heute braucht man nur das nötige Hintergrundwissen, dann kann man seinen Kindern geben, was sie brauchen. Dieses Wachstum erscheint nur uns ungewöhnlich. In Wirklichkeit ist es ganz normal.«
Sie selbst wurde durch all ihr Singapur-Eiweiß langsam rund wie ein Fußball, aber das behielt ich für mich. Ich pries ihre Kinder und ging dann zu Bett. Als ich gerade am Einschlafen war, rief Zoya aus Bombay an. »Es tut mir so leid, Bhai«, sagte sie. »Aber es hat eine Verzögerung gegeben.« Sie hätten pünktlich mit dem Drehen aufgehört, aber auf dem Rückweg in die Stadt seien sie in einen zwölf Kilometer langen Stau geraten. Drei Laster, die zu schnell gefahren seien, hätten sich umeinandergewickelt. Es habe sechs Stunden gedauert, das verkeilte Kuddelmuddel zu beseitigen. Es war ihr sehr unangenehm, und sie wirkte sehr verängstigt. Sie hatte noch nie eine Verabredung mit mir nicht eingehalten.
Aber ich war über Wut und Gefühlsausbrüche hinaus. Ich sagte ihr ganz ruhig, sie solle sich schlafen legen und am folgenden Tag
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