Der Pate von Bombay
er mochte Blumen und Bäume und hatte in seinen Vorträgen oft von der Notwendigkeit gesprochen, die Umwelt zu schützen. Im Zentrum von München gab es einen Park, und dort gingen wir nun hin, nur Guru-ji und ich sowie zwei seiner Sadhus. Die Sadhus gingen hinter uns, außer Hörweite. Guru-ji und ich unterhielten uns über alltägliche Dinge, über den Goldpreis, die steigende Anzahl übergewichtiger Kinder in der indischen Mittelschicht, die nächste Computergeneration, die weltweiten Klimaveränderungen und ihre Auswirkungen auf den Monsun. Nach den kosmischen Themen unserer letzten Gespräche war es eine richtige Erleichterung, wieder auf den Boden herunterzukommen, zu diesem Sommertag mit spazierengehenden Familien, Kindern, die Guru-ji anstaunten, und herumtollenden Hunden. Die mutigeren Kinder gingen zu Guru-ji hin, und er redete und lachte mit ihnen. Es war ein wunderbares, ein vollkommenes Bild: der wellige Rasen, die Bäume mit ihren üppigen, sacht im Wind sich wiegenden Kronen, die strahlende Sonne, Guru-jis geneigter großer Kopf und die schmalen, blassen Hälse der um ihn gescharten Kinder. Behalte diesen Anblick in Erinnerung, schärfte ich mir ein, nimm ihn in dich auf, und vergiß ihn nie.
Ich versuchte mir eine klare Vorstellung von Guru-ji zu machen. Er war so erleuchtet, so weit fortgeschritten, daß er der Welt der Männer und Frauen ein wenig entrückt war. Ich wußte, daß er großen Wert auf Sauberkeit legte, daß er Gärten und Grünpflanzen mochte, daß er ein ungeheures Wissen über geheimnisvolle Themen besaß, daß er gern möglichst unmittelbar von den neuesten technischen Entwicklungen erfuhr. Doch für mich schwebte er nach wie vor ein Stückchen über dem Erdboden, es war mir nicht möglich, ihn so gut zu kennen, wie ich Arvind, Suhasini oder Bunty kannte. Diese kannte ich wie mich selbst, ich wußte um ihre Sehnsüchte, wovor sie Angst hatten, wie sie dachten. Ich konnte voraussagen, was sie tun würden, konnte sie dazu bringen, bestimmte Dinge zu wollen, konnte sie lenken und beherrschen. Ich hatte sie in der Hand.
Guru-ji hingegen - wenn ich über ihn nachzudenken versuchte, wenn ich ihn mir vorstellte, erschien er in meinen Gedanken wie eines dieser Bilder in den Kalendern von Vivekananda 664 oder Paramhansa 477 : lebendig und unvergeßlich, doch nicht ganz menschlich, ja mehr als menschlich. Irgendwie bekam ich ihn nicht zu fassen, meinen Guru-ji. Nicht einmal, wenn er ein, zwei Meter vor mir in seinem Rollstuhl dahin-sauste, zurückgelehnt, so daß er nur auf zwei Rädern fuhr, von einem Kometenschweif lachender Kinder gefolgt. Ich hatte ihn einmal nach seiner Familie gefragt, und er hatte mir ganz offen von seinem Luftwaffen-Vater erzählt, der die Kampfflugzeuge des Landes in Schuß hielt und ein Alkoholproblem hatte. Und von seiner Mutter, die an Asthma litt und furchtbar weinte, als Guru-ji den Motorradunfall hatte, dann jedoch zu seinem größten Beistand auf seiner Suche nach spirituellem Wissen und zu seiner ersten Anhängerin wurde. Ich wußte, was er gerne aß, daß er Vegetarier, aber nicht wählerisch war, daß er das kärgliche Mittagessen eines Bauern teilen und es genauso genießen konnte wie ein erlesenes Mahl bei einem Premierminister. Ich wußte das alles, und zugleich wußte ich, daß ich ihn überhaupt nicht kannte. Er blieb hinter seinem ruhigen Blick verborgen, der alles in sich aufnahm und Liebe, Frieden und Gewißheit zurückgab. Vielleicht, dachte ich, während ich hinter ihm herging, war ich anmaßend in meiner Hoffnung, ihn verstehen zu können, so wie ich andere Menschen verstand. Er hatte sein Ego hinter sich gelassen und war zu etwas Göttlichem geworden. Und ich war von der Göttlichkeit noch zu weit entfernt, um die seine zu begreifen. Schon allein es zu versuchen war ein Akt des Ego, eine Ausgeburt des Stolzes. Das einzige, worauf ich hoffen konnte, war der Augenblick des Darshan, diese flüchtige Verbindung. Und doch konnte ich dem Drang, es zu versuchen, nicht widerstehen. Ich trat an den Kindern vorbei zu ihm und fragte: »Guru-ji?«
»Ja, Arjun.«
»Ich würde Sie gerne etwas fragen. Vielleicht ist es unverschämt.«
»Um so besser. Frag nur.«
»Haben Sie je geliebt, Guru-ji?«
»Ständig, Arjun.«
»Nein, nicht so, Guru-ji. Ich weiß, Sie lieben mich und die hier« - ich zeigte auf die Kinder -, »aber ich meine die Liebe zu einem einzelnen anderen Menschen. Ishq 277 , pyaar, muhabbat, Guru-ji. Waren Sie je verliebt?«
»Ich war
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