Der Pate von Bombay
Mann gehalten, der jedem Vergnügen argwöhnisch gegenübersteht. Doch jetzt weißt du Bescheid. Du hast die Maya 412 durchschaut. Wir müssen über das hier hinausgelangen.« Er kniff mit dem Daumen und seinem langen Zeigefinger in die Haut an meinem Handgelenk. »Es ist nützlich, doch zugleich blendet es uns. Der Schmerz, den du jetzt erlebst, ist das Tor zur Weisheit. Lerne daraus.«
Ich wußte, daß er recht hatte. Und doch wehrte sich mein Leib dagegen, wehrte sich gegen die Entscheidung, die ich treffen mußte. Hoffnungslosigkeit rumorte in meinem Bauch. Sollte die schwindende Illusion der Liebe nur diese große Ödnis hinterlassen? Mir war, als stünde ich auf einer endlosen Ebene, und jeder leblose braune Quadratmeter dieser Ebene würde von einem seltsamen, gleichmacherischen Licht erhellt. Ich sah es und schrak vor der Leere zurück.
»Ja, Arjun«, sagte Guru-ji. »Alles ist verbrannt, und für dich bleibt im Moment nur die Asche. Doch auch diese graue Wüstenei ist eine Illusion, nur ein Schritt auf deinem Weg. Vertrau mir. Geh mit mir weiter. Jenseits dieses Beinhauses der romantischen Liebe herrschen Friede und eine größere Liebe.«
Während des restlichen Tages sorgte er dafür, daß ich stets in seiner Nähe war. Wir waren zusammen, bis ich am späten Abend aufbrach. Er umarmte mich fest, und seine letzten Worte an mich waren: »Hab Vertrauen, Arjun. Zaudere nicht. Ich werde über dich wachen. Hab keine Angst, Beta.«
Ich hatte keine Angst. Ich fuhr durch die Nacht nach Düsseldorf und nahm ein Flugzeug nach Hongkong. Ich verhielt mich gemäß den üblichen Prinzipien und Prozeduren, wandte die im Laufe meines Lebens gelernten Tricks sowie K. D. Yadavs Spionage-Knowhow an, um sicherzugehen, daß ich nicht verfolgt wurde. Ich tat das alles aus Gewohnheit, doch ich wußte, daß ich sicher war. Guru-jis Segen hing schützend über mir. Im Flugzeug stellte ich den Sitz ganz nach hinten und schlief. Ich war sterbensmüde. Innerhalb von zwei Tagen war ich wiedergeboren worden. Etwas in mir war gestorben, und etwas Neues war an seine Stelle getreten. Guru-ji hatte mich neu erschaffen. Während des gesamten Flugs träumte ich von Guru-jis Händen. Es war das eine, was ich von ihm mitnahm, diese Nahaufnahme. Mochte er auch göttlich sein, seine Hände waren von dieser Welt. Sie waren klein und sehr weiß, und seine Nägel waren makellos sauber. Als ich aufwachte, fragte ich mich, warum ich diese Hände im Schlaf immer wieder gesehen hatte, so lebendig, so präsent, so menschlich. Er hatte mir einen neuen Namen und eine neue Vison gegeben. Zusammen würden wir einen neuen Zeitzyklus einleiten.
In Singapur erwartete mich ein Hinterhalt. Zunächst allerdings begab ich mich nach Phuket auf die Yacht, um Guru-jis Lieferung zu organisieren. Binnen zwei Wochen hatten wir neue Kommunikationswege eingerichtet und abgesichert. Dieser Mistkerl Kulkarni behielt mich zweifellos genau im Auge, doch er würde nichts erfahren. Ich rief Pascal und Gaston an, meine alten Kameraden. Wir hatten schon die ganze Zeit ihre Schiffe und ihre erweiterte Infrastruktur genutzt - sie waren mit mir expandiert -, doch jetzt sagte ich ihnen, daß sie beide selbst eine Fahrt für mich durchführen müßten. Sie müßten Mannschaft und Kapitän sein, so wie früher. Gaston paßte das nicht, er wurde trotzig wie ein launisches Kind. Er habe Diabetes, sagte er, und außerdem spiele eine seiner Bandscheiben seit einem Bandscheibenvorfall bei der kleinsten Erschütterung verrückt. Ich sagte, er solle aufhören, wie ein altes Weib herumzujammern, solle eine Stützbandage anlegen und sein Schiff klarmachen. Er murrte, tat jedoch wie geheißen. Er stand in meiner Schuld. Wir brauchten drei Wochen, um alles vorzubereiten, und dann machten sie sich auf den Weg, Gaston und Pascal und zwei ihrer besten Männer. Die Übergabe vor der Küste von Madagaskar ging reibungslos vonstatten, und auch die Rückfahrt bei ruhiger See verlief friedlich. Sie landeten die Fracht in der Nähe von Vengurla an und fuhren nach Hause. Guru-jis Leute nahmen die Lieferung entgegen und leiteten sie weiter, wohin auch immer. Ich bezahlte Gaston und Pascal das Dreifache ihres üblichen Preises, und damit war die Sache erledigt. Keine Umstände, keine Probleme.
Nun, dachte ich, war es an der Zeit, nach Singapur zu fliegen. Ich wollte Zoya ein letztes Mal sehen, um unsere Verbindung aufzulösen. Ich war über meine Abhängigkeit von ihr hinausgewachsen, hatte die Liebe
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