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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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noch sehr jung, als das passiert ist«, sagte er, auf seine Beine deutend.
    »Also nie?« Ich glaubte die Antwort bereits zu kennen. Ein Mann, der sein höchstes Sein verwirklicht hatte, liebte die gesamte Schöpfung gleichermaßen und konnte mit der Liebe zu einem einzelnen Menschen, dieser voreingenommenen, fragmentierenden Blindheit, nichts anfangen. Wenn man Brahman war, warum sollte man dann Majnun 390 werden wollen? Doch er überraschte mich.
    »Verliebt? Ja, einmal vielleicht. Vor meinem Unfall. Als ich noch sehr jung war.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja, wirklich. Wir haben uns täglich gesehen, weil wir nebeneinander wohnten, und trotzdem waren die Stunden, in denen wir getrennt waren, die reinste Folter.« Er lächelte. »Meintest du das, Arjun?«
    »Ja, Guru-ji«, sagte ich eifrig. »Und wenn Sie mit ihr zusammen waren, haben Sie sich vor jeder Minute gefürchtet, weil sie verstreichen mußte.«
    Ein blauäugiger Junge sagte grinsend etwas auf deutsch zu Guru-ji, und dieser antwortete ihm sehr ernsthaft. Er nickte mir über die kleine Schulter des Jungen zu und sagte: »Ja. Als hätte man einen Moment lang seine fehlende Hälfte gefunden, nur um sie gleich wieder weggenommen zu kriegen.«
    Ich kämpfte gegen den Kloß in meinem Hals an. Er war also doch ein Mensch, ein normaler Sterblicher, der diesen Schmerz erlebt hatte und Verlustgefühle kannte. »Wie hieß sie, Guru-ji?«
    Er klopfte dem Jungen auf die Schulter und schickte ihn fort. Dann schaute er in meine Richtung, doch er sah jemand anderen, jemanden, der sehr fern war. »Was spielt das für eine Rolle, Arjun? Namen verlieren sich in der Zeit. Jede Betörung führt zu einem Verlust.«
    »Was ist geschehen, Guru-ji? Wurde sie fortgeschickt?«
    »Ja, das ist geschehen. Und dann bin ich fortgegangen, erst in die Verletzung und dann in mich selbst.«
    Dann war er unser Guru geworden, und nun liebte er uns statt sie, wer immer sie auch gewesen sein mochte. Sie erinnerte sich zweifellos auch an diese Liebe, doch vielleicht tröstete es sie, daß er sie immer noch liebte, und zwar auf eine viel tiefer greifende Weise, als es im Rahmen der Liebe eines einzelnen unwissenden Sterblichen für einen anderen möglich war. Trotzdem tat es mir gut zu wissen, daß er mir früher einmal ein klein wenig geähnelt hatte. »Danke«, sagte ich. »Danke, Guru-ji, daß Sie mir das erzählt haben.«
    »Gern geschehen«, sagte er und schaute dabei über die Schulter zu der Kindergruppe hinüber, die abgebogen war und jetzt, ein Gewirbel goldener Beine, über die Wiese lief, der Junge von eben an der Spitze.
    Die Sadhus schlössen auf, und ich blieb etwas zurück, mein neues Wissen um einen verliebten jungen Mann wie einen Schatz in mir tragend.
    Einer der Sadhus sagte etwas auf französisch zu Guru-ji. Er war Schweizer, ein Rotkopf mit Halbglatze, der den Namen Prem Shantam bekommen hatte. Guru-ji hatte die verschiedensten Leute in seinem Gefolge, und er konnte sich in vielen Sprachen zumindest rudimentär verständigen. Jetzt wandte er sich zu mir um. »Arjun!«
    Ich trat zu ihm. »Guru-ji?«
    »Prem hat mir gerade gesagt, daß wir uns jetzt einem Bereich des Parks nähern, wo die Deutschen alle Schicklichkeit fahrenlassen. Sie liegen dort völlig unbekleidet herum. Er schlägt vor, daß wir woanders entlanggehen.«
    »Vielleicht sollten wir das tun, Guru-ji.«
    »Warum? Hast du Angst davor, ihre Körper zu sehen?«
    »Ich? Nein, überhaupt nicht. Ich bin das gewohnt, aus Thailand und so.«
    Wir gingen also weiter, den funkelnden Fluß entlang. Und da waren auch schon die nackten Deutschen, hauptsächlich Männer, die auf dem Gras lagen oder ganz normal herumliefen, völlig unbefangen. Ich hatte sie an fernen Stränden gesehen, war mit ihrer weißen Haut, ihren runzligen Hintern vertraut. Doch hier fand ich das irgendwie irritierend. In dieser Stadt der Kirchen wirkte eine solche Zurschaustellung absurd.
    Prem sagte etwas, und Guru-ji übersetzte es für mich, den Blick immer noch aufs Flußufer gerichtet. »Er sagt, daß sie das »Freikörperkultur nennen. Aber ich finde das weder frei noch kultiviert. Sie sind fehlgeleitet. Alles hat seine Zeit und seinen Ort. Es gibt Lebensphasen, in denen bestimmte Dinge angemessen sind. Ein Sadhu, der nackt im Dschungel meditiert, ist wirklich nackt. Er hat sich ganz und gar von der Kultur abgewendet. Doch diese Menschen hier sind immer noch in die Sprache gewandet. Sie halten sich für frei, doch tatsächlich sind sie in ihrer

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