Der Pate von Bombay
um irgend etwas anderes zu tun, als auf den Sitz zu sabbern. Die anderen Wagen - einschließlich Jojos Toyota - folgten, und diese kleine Prozession brachte sie dann zu mir.
Ich nahm sie an der Tür in Empfang, durch den Transporter vor den Blicken der Ladenbesitzer geschützt, schloß die Tür und trug sie die Treppe hinunter. Ich legte sie aufs Bett, schob ihr ein weiches Kissen unter den Kopf und brachte ihr ein Glas kaltes Wasser. Ich hielt ihr das Glas an die Lippen und wischte ihr den Speichel von Hals und Kinn. Sie murmelte etwas mit belegter Stimme und ziemlich feuchter Aussprache. Ihr Mund war schlaff, ich merkte, daß sie ihn nicht unter Kontrolle hatte, doch ihr Blick war jetzt konzentriert und sehr lebendig. Sie sah mich an und ließ dann die Augen nach rechts und links wandern, um den Raum zu erfassen.
»Entspann dich, Jojo«, sagte ich. »In ein paar Minuten ist alles okay. Hier, trink ein bißchen Wasser.«
Aber sie biß die Zähne aufeinander und starrte mich mit einem bösen, so schneidenden Blick an, daß sie mir damit glatt den Kopf hätte absäbeln können. Sie versuchte etwas zu sagen, doch es kam wieder nur ein speicheltropfendes Lallen. Ich säuberte sie abermals, und dann lehnte ich mich zurück und betrachtete sie. Sie war dünner, als ich sie von den Fotos in Erinnerung hatte, und um den Mund herum etwas verkniffen. Auf den Bildern hatte sie einen üppigen roten Mund, und genauso hatte ich sie mir in all den vergangenen Jahren immer vorgestellt, Tag für Tag. Aber das war schon okay. Für sie war es noch früh am Morgen, sie war gerade aufgestanden und auf dem Weg ins Fitneßstudio gewesen, hatte keine Zeit gehabt, Lippenstift aufzulegen. Mit Frauen und ihrem Make-up kannte ich mich aus. Jojo wirkte etwas älter, als ich erwartet hatte - von den Falten an ihrem Hals oder der runzligen Haut an ihren Händen hatte ich nichts geahnt. Sie war trotzdem attraktiv, ein knackiges Weib mit dichten, gesträhnten braunen Haaren und schlankem Körper. Da ihr Oberteil über den tiefsitzenden Jeans etwas hochgerutscht war, konnte ich ihren flachen Bauch sehen.
Sie bemerkte meinen Blick und hob den Kopf vom Kissen. Diesmal hielt sie vor jedem Wort inne, um es mit größter Mühe deutlich zu artikulieren. »Wer. Sind. Sie?«
Ich schlug mir aufs Kinn und lachte. »Are, Jojo. Tut mir leid, Yaar. Ich habe dir nie davon erzählt. Ich habe mein Gesicht ändern lassen. Aus Sicherheitsgründen. Ich bin Ganesh. Ganesh Gaitonde. Gaitonde.«
Sie schüttelte den Kopf. »Weiß. Ich. Von. Zo-ya.«
Zoya hatte ihr also von meiner kosmetischen Operation erzählt. Kutiya. Man sollte seine Sicherheit nie einer Frau anvertrauen. Vielleicht hätte ich sie erschießen lassen sollen, nachdem ich ihr den Laufpaß gegeben hatte. Aber sollte diese Randi doch bleiben, wo sie war - vor mir saß Jojo und war nach wie vor verängstigt, mißtrauisch und feindselig. Ich mußte sie davon überzeugen, daß ich ich war, der Ganesh Gaitonde, der jeden Tag mit ihr telefonierte. War meine Stimme denn so anders, wurde sie durch Entfernung und Elektrizität dermaßen verwandelt? Egal. Ich mußte in dieser persönlichen Begegnung für Jojo zu Ganesh Gaitonde werden, auch wenn unsere Gesichter mittlerweile anders aussahen, als wir sie uns während unserer langjährigen Freundschaft vorgestellt hatten. Ich erzählte ihr, wie wir vor so langer Zeit das erste Mal miteinander geredet hatten und wie wir Yaars geworden waren. Ich erzählte ihr von den Mädchen, die sie mir geschickt hatte, und unserem Gewitzel danach. Ich erzählte ihr von den Jungfrauen, die ich genommen, und dem Geld, das ich für ihre Unberührtheit gezahlt hatte. Ich erzählte Jojo von den Projekten, die ich für sie finanziert, und den Problemen, die ich mit ihr besprochen hatte. Ich erzählte ihr, wie sie mich immer beschimpfte und daß sie mich Gaitonde nannte.
Als ich mit meinem kleinen Rückblick fertig war, hatte sie sich auf dem Bett aufgesetzt, die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen. Sie wußte, wer ich war. Doch ich hatte keinerlei Vorstellung davon, ob sie neugierig oder wütend, ängstlich oder verwirrt war. Ich konnte sie nicht lesen. Ich kannte ihre Stimme, ihren Körper jedoch nicht. Sie mußte etwas sagen, damit ich erkannte, wie es ihr ging. Ich wartete.
Sie öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Sie prüfte ihre Zunge und formte ihre Lippen und kam zu dem Schluß, daß alles wieder in Ordnung war. »Was ist mit dir passiert, Gaitonde?«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher