Der Pate von Bombay
hatte, daß mit einem solchen Totalzusammenbruch zu rechnen war. Selbst die Maschinen, die an sich noch funktionierten, würden aufgrund mangelnden Energienachschubs nicht mehr laufen. Deswegen hatten wir für den Bunker drei Notstromaggregate aus Generatoren mit Batterien installiert, hatten die Verbindungen zum Stromnetz verstärkt und Sonnenkollektoren bereitgestellt. Jojo würde also auf ihrer Insel sitzen und ich in meinen unterirdischen Räumen. Und zwischen uns würden gewaltige Ozeane liegen, von der erbarmungslosen Sonne bestrahlt. In all unseren gemeinsamen Jahren hatte mir die Entfernung zwischen uns nie etwas ausgemacht, denn ich wußte, selbst wenn ich eine Straße in Belgien entlangspazierte oder über eine arabische Wüste flog, Jojo war bei mir. Sie war dicht an meinen Oberschenkel geschmiegt, nur einen Tastendruck entfernt. Ich konnte sie jetzt wegschicken, doch wie würde ich sie wieder zurückholen? Ich schritt im Kontrollraum auf und ab, von einem Ende zum anderen, und machte mir bewußt, welche Anstrengung es kostete, einen Kilometer zu gehen. Jahrelang hatten mir Entfernungen überhaupt nichts bedeutet, und ich hatte nur in zeitlichen Kategorien gedacht. Ich hatte Städte nach der Zahl der zwischen ihnen liegenden Flugstunden verortet, hatte gelernt, das Datum um einen Tag zurückzusetzen oder eine halbe Nacht zur Morgenstunde zu addieren. Jetzt sah ich auf dem Boden unter meinen Füßen die Breiten- und Längengrade verlaufen, sah, wie sie sich jenseits der Mauern hinzogen, sah die entsetzliche Krümmung der Erde und die steinige Leere, die zwischen Jojo und mir klaffte. Wir waren so klein, und diese Welt war so riesig. Und ohne Jojos Stimme im Ohr war ich noch kleiner.
Ich mußte sie herholen. Genau. Sie würde Widerstand leisten, würde zunächst verärgert sein, aber schließlich würde sie mich verstehen. Ich würde ihr das ganze Ausmaß unseres Problems darlegen, ihr die Gefahr begreiflich machen, die Beweise zeigen, und sie würde mich verstehen. Wir hatten immer miteinander reden können, von Anfang an. Sie war ein sturer alter Drache, aber sie war auch vernünftig. Ihr lag daran, ihre eigenen Interessen zu wahren, und ich würde ihr zeigen, daß sie unmöglich da draußen bleiben konnte. Sie würde mir zustimmen.
Ich griff nach einem Handy, rief Bunty an und erteilte ihm meine Anweisungen. »Schafft sie her«, sagte ich.
Sie würde verängstigt und wütend sein, wenn sie sie herbrachten, aber ich hatte keine Wahl. Wenn ich sie eingeladen hätte, sich mit mir zu treffen, hätte sie abgelehnt, wie sehr ich sie auch angefleht hätte. Also taten die Jungs, was sie tun mußten: Sie warteten vor Jojos Haus, bis sie um halb elf schließlich aus der Garage gefahren kam, allein in ihrem blauen Toyota. Sie folgten ihr die Yari Road entlang und dann nach Norden, Richtung Goregaon. Sie waren in zwei Pkws und einem Transporter unterwegs und brauchten nicht mehr als zehn Minuten, um sie einzukeilen. Dann bremste der vordere Wagen scharf ab, der Transporter knallte von hinten gegen ihre Stoßstange und schob sie zu einem sanften dreifachen Auffahrunfall vor. Alle fuhren langsam, es bestand keine Verletzungsgefahr, doch Jojo sprang aus dem Auto und fluchte, was das Zeug hielt. Sie war so wütend auf das Mädchen, das den Transporter gefahren hatte, daß sie weder die drei Männer bemerkte, die aus dem vorderen Auto ausstiegen, noch die beiden anderen in dem Auto neben ihrem. Ich hatte angeordnet, daß Jojo nicht geschlagen werden sollte, und ich war mir nicht sicher, ob der Anblick einer Ghoda, selbst wenn sie ihr an den Kopf gesetzt würde, sie davon abhalten würde, sich zu wehren und herumzuschreien. Deshalb benutzten die Jungs eine Omega-Elektroschockpistole. Während Jojo das Mädchen anschnauzte, drückte ihr einer der Jungs diese Pistole in die Hüfte, knapp über dem Gürtel, und verpaßte ihr einen halb-minütigen Stromstoß. Ein knisterndes Geräusch ertönte, Jojo stieß einen kleinen Schrei aus, der in ein Wimmern überging, und fiel dann zu Boden. Eine Elektroschockpistole zu verwenden ist riskant - manche Leute, die man ihren heftigen Schlangenbiß spüren läßt, werden dadurch nur wütender und brechen einem den Schädel. Ich hatte befürchtet, Jojo würde den Jungs in die Golis treten, aber sie brach zuckend zusammen, verdrehte die Augen und war volle zehn Minuten weggetreten. Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit locker gefesselten Händen und Füßen im Transporter, zu groggy,
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