Der Pate von Bombay
hatte mit ein paar Verwünschungen und der verärgerten Frage gerechnet, warum ich sie hatte betäuben und ohne ihr Einverständnis in meinen Bunker bringen lassen. Ich hatte meine Erklärung parat, und jetzt quoll sie regelrecht aus mir heraus, ich erzählte Jojo von Yagnas und Bomben, von Dollars und Sadhus, vom Feuer und vom Ende eines Yugas. Während ich sprach, stand sie auf und ging zögernd im Zimmer herum. Sie war immer noch etwas wackelig auf den Beinen und mußte sich an der Wand abstützen. Aber sie war sehr aufmerksam und inspizierte den Raum: was darin war, wo die Türen waren. Während ich noch vor mich hin brabbelte, überkam mich Stolz auf sie. Sie tat genau das, was ich auch getan hätte. Sie schaute sich den kleinen Fitneßbereich an, machte die Toilettentüren auf. Dann ging sie durch die Tür, die in den Kontrollraum führte. Ich folgte ihr, immer noch redend.
»Wo sind wir?« fragte sie. »Warum trägst du diese Pistole?«
Ich verstand ihre Verwirrung. Vier der Monitore waren an, auf dreien liefen Nachrichtensendungen aus Amerika, Indien und China, und einer war mit dem Internet verbunden. Sie war desorientiert, hatte keine Ahnung, wieviel Zeit verstrichen war. Sie dachte womöglich, sie sei in Malaysia oder in Spanien. Wir konnten überall sein.
»Keine Sorge, Jojo«, sagte ich. »Wir sind immer noch in Bombay. Aber wir sind in Sicherheit. Mach dir keine Gedanken.«
Jetzt wandte sie sich mir zu. Sie war kleiner als ich, aber sie stand sehr gerade, zog die Schultern nach hinten und warf mit einer schwungvollen Kopfbewegung das Haar zurück. Als ich diese eine kleine Bewegung sah, begriff ich sofort, warum die Männer bei ihr Schlange standen, um ihr nächster Thoku zu werden. Es war eine ganz nüchterne Feststellung. In meiner aktuellen Verfassung verspürte ich keinerlei körperliches Verlangen, am allerwenigsten nach Jojo. Ich wollte nur, daß sie mit mir redete.
»Gaitonde«, sagte sie, »du bist übergeschnappt.« Sie sprach in demselben Ton zu mir, in dem sie auch ihre Bediensteten tadelte, leise, bestimmt, unerbittlich. »Du mußt zum Arzt und dein Bheja 081 untersuchen lassen. Ach was, dafür ist es längst zu spät, am besten weist du dich einfach selbst in die Irrenanstalt ein. Sag den Schwestern, sie sollen dir Hände und Füße fesseln, damit du niemanden belästigst ...«
»Jojo, hör mir zu.«
»Nein, hör du mir zu. Wofür hältst du dich eigentlich? Du meinst wohl, du bist der große King und kannst einfach so Leute kidnappen, nach Lust und Laune? Mich wie ein Tier zu betäuben und hier runterzuschleifen! Du Dreckskerl, du glaubst wohl, bloß weil alle Welt Angst vor dir hat, kannst du dir alles erlauben. Aber ich habe keine Angst vor dir, Maderchod.«
Sie hatte das Gesicht zu mir emporgereckt und stieß mit den Fingern in Richtung meiner Augen. Sie verfluchte mich noch einmal, und dann traf eine Ladung Spucke meine Wange, gefolgt von einer zweiten.
Ich hätte sie am liebsten geschlagen.
Aber es war Jojo, und ich wollte mich um sie kümmern. Ich trat einen Schritt zurück, hob die Hände, holte tief Luft. »Du bist jetzt aufgebracht, Jojo. Das verstehe ich. Aber ich kann dir alles erklären. Überleg mal - wir sind seit vielen Jahren befreundet. Ich hätte so etwas jederzeit veranlassen können und habe es nie getan. Also hör mir erst mal ruhig zu. Wenn du danach immer noch nicht einverstanden bist, kannst du tun, was du willst.«
Sie legte den Kopf auf die Seite und musterte mich. Ich merkte, daß sie ihre Lage abwog, mich, den Raum und ihre Möglichkeiten abschätzte. Aber ich konnte nicht erkennen, ob sie klein beigeben oder mir eher eine Ohrfeige verpassen würde. Ich hätte immer per Videokonferenz mit ihr telefonieren sollen, dann hätte ich ihren Hals und ihre zornigen Schultern beobachten können. Ich hatte gemeint, sie zu kennen, aber ich hätte sie gründlicher kennenlernen sollen.
»Okay«, sagte sie. »Aber mach schnell. Ich habe heute viel zu tun.«
Ich ließ sie in einem Sessel im Kontrollraum Platz nehmen und holte ihr ein frisches Glas Wasser. Ich fragte sie, ob ihr kalt sei, und drehte die Klimaanlage herunter. Dann konfrontierte ich sie mit der Realität. Ich erzählte ihr alles, Punkt für Punkt. Ich legte ihr eine Tabelle aus einer alten Ausgabe von India Today vor, in der die zu erwartende Anzahl von Toten und Verletzten nach einer Atombombenexplosion in Mumbai verzeichnet war. Ich zeigte ihr im Internet echte Filmaufnahmen von Explosionen und
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