Der Pate von Bombay
zitternden Überlebenden. Ich informierte sie über die empfohlenen Sicherheitsvorkehrungen und zeigte ihr Listen der überlebensnotwendigen Materialien.
»Augenblick«, sagte sie. »Augenblick.«
»Was ist?«
»Du willst, daß ich hier unten bleibe? Daß ich in diesem Ding hier lebe?«
Sie war ungläubig, fassungslos und dann verächtlich. Diesmal fiel es mir nicht schwer, die Furchen auf ihrer Stirn zu entziffern, ihre finstere Miene zu interpretieren. Und plötzlich erschien mir diese zerstörungssichere Zuflucht, in die ich truhenweise Geld investiert hatte, ungastlich und eng. »So schlecht ist es hier gar nicht«, sagte ich. »Es ist sogar sehr komfortabel. Die Betten sind hervorragend, und alles ist klimatisiert. Es gibt einen Fitneßraum, man kann Sport treiben. Es gibt gefiltertes Wasser. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind exzellent. Du kannst problemlos von hier unten aus arbeiten.«
»Bis wann?«
»Was?«
»Wie lange willst du hier unten bleiben?«
Ich war überrascht. Die Antwort lag doch auf der Hand. Die Jojo am Telefon war immer klüger gewesen als diese hier, sie hatte nie so viele Erklärungen gebraucht. »Bis es vorbei ist«, sagte ich. »Oder eben nicht.«
Jetzt verschwand Jojo. Sie verschwand hinter diesem unergründlichen Gesicht, und ich hatte keine Ahnung, was sie dachte. Erst als sie sprach, erkannte ich sie wieder. Sie war jetzt freundlich, die sanfte, großherzige Frau, die mit mir über meine Probleme, meinen Streß und die richtige Ernährung sprach. »Gaitonde, willst du dich nicht setzen? Du mußt dich entspannen, sonst kriegst du wieder Hämorrhoiden.«
Sie grinste, und ich dachte, so sieht sie also aus, wenn sie dieses glucksende Lachen lacht. Mir war nicht bewußt gewesen, daß ich stand. »Ja, ja.« Ich setzte mich.
Sie zog einen Stuhl neben meinen und setzte sich im Schneidersitz darauf. Ich mußte lachen, denn sie hatte mir einmal erzählt, daß sie bei förmlichen Treffen mit wichtigen Personen manchmal vergaß, wo sie war, und diese Haltung einnahm, ganz die Dörflerin aus Konkan. Sie nickte und lächelte mich an. Ich fühlte mich sofort besser. Das war die Jojo, die ich kannte. »Okay, Gaitonde«, sagte sie. »Und jetzt sag mir: Bis was vorbei ist?«
»Hast du mir denn nicht zugehört? Diese ganze Geschichte«, antwortete ich. »Wenn ich ihn finde, kann ich ihn aufhalten. Und dann ist es vorbei. Wenn ich ihn nicht finde, macht er weiter. Und dann ist irgendwann alles vorbei.«
»Gut«, sagte sie. »Es gibt also diesen Guru-ji. Und den mußt du finden. Okay. Wie lange wird das dauern?«
»Ich weiß nicht. Es kann jederzeit passieren.«
»Heute, meinst du?«
»Oder morgen.«
»Oder in ein paar Tagen?«
»Vielleicht auch in ein paar Monaten. Aber wenn ich ihn nicht finde, wird irgendwann alles enden. Es ist unumgänglich. Das siehst du doch wohl ein.«
»Aber Gaitonde, ich kann nicht so lange hierbleiben. Ich habe meine Agentur. Die kann ich nicht von hier unten aus führen. Ich muß mich mit Leuten treffen, muß mir Mädchen ansehen. Ich bin ständig unterwegs.«
»Du kannst von hier aus telefonieren. Wir können oben einen Raum als Empfangsraum einrichten. Mit Sofa und Schreibtisch. Kein Problem.«
»Aber ...«, sagte sie. »Aber Gaitonde.«
Sie kämpfte nicht mehr gegen mich an, aber natürlich dachte sie, die Aufgabe, die vor uns lag, sei nicht zu bewältigen. So wie es jeder denken würde, der nicht mein Leben gelebt, ein so tiefgreifendes Verständnis wie ich entwickelt und so viele als Illusionen entlarvte Gewißheiten hinter sich gelassen hatte. Ich kannte die Wahrheit, daß nämlich Sicherheit letztlich nur in der Kabine einer Yacht oder in einem unterirdischen Bau zu haben war. Ich mußte sie langsam an diese Tatsache heranführen. »Jojo«, sagte ich, »versuch es einfach mal für einen Tag.«
»Nur für einen Tag?«
»Für einen Tag und eine Nacht. Morgen kannst du nach Hause gehen, wenn du willst.«
»Versprochen?«
»Du brauchst ein Versprechen? Wenn Ganesh Gaitonde sagt, daß er etwas tun wird, dann hält er sich auch daran. Aber für dich, Jojo, schwöre ich es sogar.«
Ich zeigte ihr den Hometrainer und die Hanteln. Aber sie wollte jetzt nicht mehr trainieren, sie sagte, es sei zu spät, sie müsse ein paar Telefonate führen und Termine wahrnehmen. Also räumte ich ihr einen Schreibtisch frei - schob Zeitungen und Landkarten, Magazine und Börsencharts beiseite - und wies ihr ein eigenes Telefon zu. Während sie ihre Anrufe tätigte,
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