Der Pate von Bombay
Alles war so, wie ich es geplant hatte, die diversen Monitore und die Computer, die Radios und die Gasmasken. Die Techniker und Bauarbeiter hatten die Anweisungen genau befolgt, bis hin zu dem Vorrat an Trockenobst und versiegelten Wasserflaschen. Es gab einen kleinen Fitneßbereich und ein Regal voller DVDs mit alten Dev-Anand- und Dilip-Kumar-Filmen. Ein Stahlschrank enthielt ein ganzes Waffenarsenal, AK-56 und Glocks. Hier ließ es sich leben.
Und so lebte ich denn auch zwei Wochen dort, in meinem unterirdischen Heim. Ich kommunizierte mit Bunty und den Jungs, nahm morgens und abends Nikhils Anrufe aus Thailand entgegen und tätigte Geschäfte mit Brüssel und New York. Die Jungs brachten mir meine Unterlagen, und alle wichtigen eingehenden Dokumente wurden an mich weitergeleitet. Alles war wie früher, mit dem kleinen Unterschied, daß ich nicht in fremden Gewässern unterwegs war oder von einer ausländischen Stadt in die andere flog. Ich tat meine Arbeit, sicher aufgehoben im Bauch von Mumbai. Nicht, daß es mich leichtsinnig gemacht hätte, wieder zu Hause zu sein. Ich hielt an meinen Sicherheitsvorkehrungen fest und trug immer ein bequemes Schulterhalfter aus Nylon mit einer entsicherten Glock .34. Ich befand mich mitten im Kampfgebiet und schützte mich entsprechend.
Aber ich konnte nicht schlafen. Ich legte mich ins Bett oder auf den Boden oder auf eine spezielle, anatomisch angepaßte Matratze, die Buntys Jungs mir besorgt hatten, doch ich tat kein Auge zu. Ich schluckte ganze Hände voll Calmpose und Mandrax, und man flog sogar ein Fläschchen Ambien aus New York für mich ein. Doch nicht einmal die amerikanischen Pillen beförderten mich in die Bewußtlosigkeit. Ich erreichte nur einen Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, eine Art vorübergehender Lähmung, bei der mein Körper schwer und unbeweglich war, mein Geist jedoch wach. Durch meine halbgeschlossenen Augen sah ich Feuertropfen die Wände hinaufkriechen. Ich wußte, daß es nicht brannte, daß die vermeintlichen Funken tatsächlich Lichtreflexe von den Computerbildschirmen und den kleinen roten Lämpchen an den Diskettenlaufwerken waren, doch selbst nachdem die Wirkung der Chemie nachgelassen hatte, roch ich - ja: Mogra und verkohltes Fleisch. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß die Luftaustauschanlage die Gerüche der Stadt nicht völlig tilgen konnte. Schließlich erzeugten die Kohlefilter keine neue Luft, sie konnten nicht entfernen, was die Luft zuinnerst erfüllte. Was ich da roch, war die Luftverschmutzung der Millionen über mir, es waren die Ausdünstungen ihres Lebens. Da gab es kein Entrinnen, es konnte keines geben, und ich lernte, mich daran zu gewöhnen. Es war nur ein kleines Stechen in meiner Kehle, ein leichtes Brennen in den Augen. Ich war Ganesh Gaitonde, ich hatte schlimmere Schmerzen ertragen.
An die Sorgen hingegen gewöhnte ich mich nicht. Da ich Tag und Nacht wach war, hatte ich mehr als genug Zeit, herumzusitzen und nachzudenken. Wenn ich das Geschäftliche erledigt, meine Listen abgearbeitet und die Konten überprüft hatte, saß ich noch lange in meinem Drehstuhl vor den Computern und Bildschirmen und grübelte. Ich forderte meinem Gedächtnis jedes noch so geringe Detail unserer Suche nach diesem Mistkerl ab, der sich einen Guru schimpfte, ich ging gewissenhaft die Aktenordner und Papiere durch, die wir aus seinen Ashrams mitgenommen hatten, ich versuchte mir jeden einzelnen Satz, den er während unseres letzten Gesprächs gesagt hatte, Wort für Wort in Erinnerung zu rufen. Vielleicht gab es irgendwo einen Hinweis, den ich bisher übersehen hatte, eine Öffnung, durch die ich mich zwängen konnte. Ich wendete unsere gemeinsame Geschichte hin und her, ging sie endlos von vorne bis hinten durch, gab mich schließlich geschlagen. Und dann machte ich mir Sorgen. Ich versuchte mich mit mehreren parallel laufenden Fernsehsendern abzulenken, Nachrichten, einem Film und Musik, allem zugleich, doch meine Sorgen stiegen aus den Landkarten hinter den Nachrichtensprechern auf, aus dem Tanz der Filmstars, aus dem Frieden in Latas Stimme.
»Worüber machst du dir denn nun schon wieder Sorgen, Gaitonde?« fragte Jojo. Sie glaubte mir endlich, daß ich im Ausland war, weil ich sie aus dieser Stille anrief. Und wie immer spürte sie gleich bei meinem ersten Wort, merkte es schon vorher an meinem Schweigen, in welcher Stimmung ich war.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte ich. Es stimmte. Ich würde in meinem Bunker
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