Der Patient
gehörte nun einmal zu den Eckpfeilern der Psychoanalyse, dass eine erfolgreiche Behandlung diese Leute befähigte, ihre Sorgen und Depressionen zu überwinden. Darauf hatte er all die Jahre in seinen täglichen Sprechstunden hingearbeitet. Somit wäre es unvernünftig zu erwarten, dassauch nur einer von ihnen eine Träne über seinen Tod vergoss.
Die einzige Person, die auf der harten Kirchenbank aus echter Erregung vermutlich nicht würde still sitzen können, war diejenige, die seinen Tod verursacht hatte.
Ich bin, fasste Ricky zusammen, vollkommen allein.
Was brächte es schon, wenn er den Namen auf dem Brief rot anstrich und für irgendeinen Kommissar die Bemerkung hinterließ: Das ist der Mann, der mich gezwungen hat, mir das Leben zu nehmen.
Der Mann existierte nicht. Zumindest nicht auf der Ebene, auf der ihn ein Vertreter der örtlichen Polizei in Wellfleet, Massachusetts, mitten in der sommerlichen Hochsaison finden konnte, wo er sich vornehmlich mit Trunkenheit am Steuer nach durchzechten Nächten, mit familiären Streitigkeiten in den wohlhabenden Häusern und mit rüpelhaften Teenagern herumzuschlagen hatte, die versuchten, an illegale Drogen heranzukommen.
Und was noch schlimmer war: Wer würde ihm glauben? Jeder würde beim flüchtigsten Blick auf Rickys Leben augenblicklich feststellen, dass seine Frau gestorben war, dass seine Karriere wegen der Unterstellung sexuellen Fehlverhaltens in Scherben lag, dass seine Finanzen ein einziges Fiasko waren und dass zufällig seine Wohnung zerstört worden war. Ein fruchtbarer Boden für eine suizidale Depression.
Für jeden, der diesen Scherbenhaufen sah, wäre sein Tod eine logische Folge. Einschließlich jedes Kollegen in Manhattan. Oberflächlich betrachtet, wäre sein Tod geradezu ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Niemand würde auch nur eine Sekunde lang stutzen und etwas Ungewöhnliches daran finden.
Für einen Moment wallte in Ricky die Wut über sich selbst auf: Du hast dich zu einer derart leichten Zielscheibe gemacht.
Er ballte die Hände zu Fäusten und schlug heftig auf den Tisch. Ricky holte einmal tief Luft und sagte laut: »Willst du leben?«
Es war vollkommen still. Er lauschte, als rechnete er halb mit einer geisterhaften Antwort.
»Was ist an deinem Leben lebenswert?«, fragte er weiter.
Wieder war das ferne Zirpen der Sommernacht die einzige Antwort. »Kannst du weiterleben, wenn es jemand anderen das Leben kostet?«
Er holte tief Luft, bevor er seine eigene Frage mit einem Kopfschütteln beantwortete.
»Bleibt dir eine Wahl?«
Es folgte Stille.
Wenn es etwas gab, das Ricky mit absoluter Klarheit verstand, dann dies: Dr. Frederick Starks musste binnen vierundzwanzig Stunden sterben.
20
Der letzte Tag in Rickys Leben verging mit fieberhaften Vorbereitungen.
Im Depot für Marinebestände im Hafen kaufte er zwei Zwanzig-Liter-Treibstoffkanister für einen Außenbordmotor, einen von diesen knallroten Dingern, die am Boden eines Skiffs stehen und sich an einen Motor anschließen lassen. Nachdem er einen Jungen, der in dem Laden arbeitete, in rüdem Ton um Hilfe gebeten hatte, entschied er sich für die zwei billigsten Modelle. Der Junge versuchte, ihn zu den etwas teureren Kanistern zu überreden, die mit Tankanzeigen und Überdruck-Sicherheitsventilen ausgerüstet waren, doch Ricky verschmähte das Angebot. Der Junge wollte auch wissen, wozu er zwei benötigte, und Ricky machte ihm klar, dass einer für das, was er vorhatte, nicht genügte. Er gab sich verärgert und stur und benahm sich so unfreundlich und rücksichtslos, wie er nur konnte, bis hin zur Barzahlung mit seinen letzten Kröten.
Kaum war der Kauf getätigt, besann sich Ricky, als fiele ihm gerade etwas ein, und forderte den Jungen auf, ihm eine Auswahl Leuchtraketenpistolen zu zeigen. Willig breitete der Verkäufer ein halbes Dutzend vor ihm aus. Auch diesmal entschied sich Ricky für die billigste, obwohl der Teenager ihn warnte, die Pistole habe nur eine mäßige Reichweite von vielleicht fünfzehn Metern in die Höhe. Er wies darauf hin, dass andere, geringfügig teurere Produkte ihre Leuchtfeuer beträchtlichhöher schössen und somit mehr Sicherheit böten. Wieder winkte Ricky verächtlich und ruppig ab, indem er ihm sagte, er habe nicht vor, das Leuchtfeuer mehr als einmal zu verwenden, und wieder bezahlte er bar, während er sich über die Kosten beklagte.
Ricky konnte sich vorstellen, wie froh der Verkäufer sein musste, als er den Laden verließ.
Als
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