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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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machen. »Tut mir leid. Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
    Ricky vermutete, dass ihm der Stress der vergangenen Tage anzusehen war. »Ich hatte so eine Sommergrippe. Hat mich ziemlich geschlaucht …«, log er.
    Der Mann nickte. »Die können ganz schön heftig sein. Bestimmt haben Sie sich auch auf Borreliose untersuchen lassen. Wenn hier draußen jemand ein bisschen angeschlagen aussieht, ist es das erste, woran wir denken.«
    »Mir fehlt nichts«, log Ricky erneut.
    »Nun ja, wir haben Sie schon erwartet, Dr. Starks. Ich denke, wir haben alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt, aber ich muss schon sagen, so eine seltsame Kontenauflösung ist mir noch nie untergekommen.«
    »Wieso?«
    »Na ja, zuerst versucht jemand, sich Zugang zu Ihrem Konto zu verschaffen. Das war für unsere Verhältnisse hier schon seltsam genug. Dann liefert heute ein Kurier hier eine Sendung für Sie zu unseren Händen ab.«
    »Eine Sendung?«
    Der Direktor händigte ihm einen Eilbrief aus. Er war an ihn und den Bankdirektor adressiert und kam aus New York. Als Absender war eine Postfachnummer vermerkt und der Name R. S. Chen.
    Ricky nahm den Brief, ohne ihn zu öffnen. »Danke«, sagte er. »Bitte entschuldigen Sie die Unregelmäßigkeiten.«
    Der Bankdirektor zog einen kleineren Umschlag aus seiner Schreibtischschublade. »Ein Bankscheck«, sagte er. »Übereinen Betrag von zehntausendsiebenhundertzweiundsiebzig Dollar. Wir bedauern, dass wir Ihr Konto verlieren, Doktor. Ich hoffe, Sie wechseln nicht zur Konkurrenz.«
    »Nein.« Ricky schielte auf den Scheck.
    »Beabsichtigen Sie, Ihr Haus zu verkaufen, Doktor? Wir könnten Ihnen dabei behilflich sein …«
    »Nein, ich verkaufe nicht.«
    Der Mann wirkte erstaunt. »Wieso kündigen Sie dann Ihr Konto? In den meisten Fällen werden seit langem bestehende Konten aufgelöst, weil in der Familie tiefgreifende Veränderungen eingetreten sind. Ein Todesfall, eine Scheidung. Manchmal auch Konkurs. Etwas Tragisches oder große Schwierigkeiten, die jemanden zwingen, sich vollkommen neu zu orientieren. Irgendwo ganz von vorne anzufangen. Aber dieser Fall …«
    Der Direktor versuchte, ihn aus der Reserve zu locken.
    Ricky ging nicht darauf ein. Er starrte auf den Scheck. »Könnte ich den Betrag vielleicht in bar haben, wenn es Ihnen nicht zuviel Umstände macht?«
    Der Direktor verdrehte ein wenig die Augen. »Es könnte gefährlich sein, so viel Bargeld bei sich zu haben, Doktor. Vielleicht lieber Travellerschecks?«
    »Nein danke, aber ich weiß Ihre Fürsorge zu schätzen. Bargeld ist mir lieber.«
    Der Mann nickte. »Dann geh ich schnell und hol es Ihnen. Kleinen Moment. Hunderter?«
    »Das wäre nett.«
    Eine Weile saß Ricky allein.
    Todesfall, Scheidung, Konkurs. Krankheit, Verzweiflung, Depression, Erpressung. Beinahe alles, dachte er, traf auf ihn zu.
    Der Direktor kehrte zurück und reichte Ricky einen anderenUmschlag, diesmal mit Scheinen. »Würden Sie bitte nachzählen?«, fragte er.
    »Ich vertraue Ihnen«, sagte Ricky und steckte das Geld ein.
    »Nun ja, Dr. Starks, falls wir einmal wieder zu Ihren Diensten sein können, hier ist meine Karte …«
    Ricky nahm sie ebenfalls entgegen und murmelte ein Dankeschön. Er wandte sich zum Gehen, blieb aber plötzlich stehen und drehte sich noch einmal zu dem Bankdirektor um.
    »Weshalb, sagten Sie, lösen die Leute gewöhnlich ihre Konten auf?«
    »Nun ja, gewöhnlich, wenn ihnen etwas wirklich Schlimmes zugestoßen ist. Wenn sie in eine neue Gegend ziehen, eine neue berufliche Laufbahn antreten müssen. Mit ihrer Familie noch mal von vorne anfangen müssen. Viele Kündigungen, ich würde sagen, die überwältigende Mehrzahl von ihnen, haben den einfachen Grund, dass ein älterer, langjähriger Kunde verstirbt und sein Vermögen, das wir betreut haben, von den Kindern, die es erben, in die aggressiveren Geldmärkte geschleudert wird. Ich würde sagen, dass fast neunzig Prozent unserer Kontenauflösungen auf Todesfälle zurückgehen. Vielleicht sogar noch mehr. Deshalb habe ich mich so über Ihren Fall gewundert, Doktor. Er passt einfach nicht in das übliche Schema.«
    »Interessant«, sagte Ricky. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Nun ja, seien Sie jedenfalls versichert, dass ich, falls ich in Zukunft einmal wieder ein Konto brauche, auf Ihr Haus zurückkommen werde.«
    Dies beschwichtigte den Direktor offenbar ein wenig. »Wir werden gerne wieder für Sie tätig«, sagte er, während Ricky, der an den Worten des Mannes zu kauen hatte,

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