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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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einen braunen Anzug, in den die Leibesfülle passte. Auch in den Schminkkästchen entdeckte er Nützliches. Er stopfte sämtliche benötigten Requisiten in einen grünen Müllsack und nahm ihn mit nach Hause. Kaum war er damit in seinem Zimmer, steckte er die Sachen zusammen mit seiner halbautomatischen Pistole sowie zwei vollen Ladestreifen in seine Tasche.
    Bei der örtlichen Rent-A-Wreck-Agentur mietete er sich einen vier Jahre alten Wagen, der gewöhnlich Studenten als fahrbarer Untersatz diente und bessere Tage gesehen hatte, weshalb der Angestellte sein Bargeld gern annahm, ohne allzu viel Fragen zu stellen, während er die Personalien pflichtgemäß von dem falschen Führerschein aus Kalifornien abschrieb. Am darauf folgenden Freitag machte er sich nachseiner Schicht in der Hausmeisterei auf den Weg nach New Jersey. Er ließ sich von der Nacht einhüllen, lauschte auf das weiche Geräusch der Reifen auf dem Teer und fuhr konstant fünf Stundenmeilen über der ausgeschilderten Geschwindigkeitsbegrenzung. Einmal kurbelte er das Fenster herunter, fühlte, wie ein warmer Luftschwall ins Wageninnere strömte, und musste daran denken, dass es schon wieder auf den Sommer zuging. Falls er jetzt in New York gewesen wäre, dann hätte er um diese Zeit damit begonnen, seine Patienten bis an einen bestimmten Punkt zu bringen, an den sie sich halten konnten, wenn sein unvermeidlicher Sommerurlaub näher rückte. Manchmal war es ihm gelungen, manchmal auch nicht. Er entsann sich, wie er im Spätfrühling und Frühsommer in der City herumgelaufen war und wie im Park die Blumen und das frisch hervorsprießende Grün die Schluchten aus Klinker und Beton, die Manhattan durchfurchten, übertrumpfte. Das war dort die beste Jahreszeit, dachte er, aber von kurzer Dauer, denn sehr schnell wich sie der drückenden Hitze und Luftfeuchtigkeit. Sie dauerte eben lang genug, um Eindruck zu machen.
    Es war schon deutlich nach Mitternacht, als er die City umfuhr und über die Schulter einen Blick zurück riskierte, während er über die George Washington Bridge kutschierte. Selbst bei tiefer Nacht schien die Stadt zu leuchten. Die Upper West Side erstreckte sich von seiner Warte aus weit in die Tiefe, und er wusste, dass nur soeben außerhalb seines Blickfelds das Columbia Presbyterian Hospital und die Klinik waren, in der er vor so vielen Jahren so kurz gearbeitet hatte, ohne zu ahnen, was er tat. Ihn erfasste schlagartig eine seltsame Mischung aus Gefühlen, als er an den Mautstationen vorbei in Richtung New Jersey fuhr. Es war, als sei er plötzlich in einem Traum gefangen, eine von diesen beängstigenden,schnellen Abfolgen von Bildern und Ereignissen, die im Unbewussten gelagert sind, an der Grenze zum Albtraum, nur dass er noch einen Schritt zurückmachen konnte. New York erschien ihm als der Inbegriff dessen, was er war; der Wagen, den er ratternd über den Highway lenkte, stand für das, was er geworden war; und die Dunkelheit vor seiner Windschutzscheibe für das, was mit ihm werden mochte.
    Ein »Zimmer frei«-Schild am Econo Lodge an der Route One war das richtige Zeichen, und er hielt an. Den Nachtdienst versah ein Inder oder Pakistani mit traurigen Augen, dessen Namensschild ihn als Omar auswies und dem es offenbar nicht gefiel, dass Rickys Ankunft in seinen Dämmerschlaf fiel. Dennoch drückte er Ricky eine Straßenkarte der Gegend in die Hand, bevor er wieder an seinen Platz mit irgendwelchen Chemiebüchern sowie einer Thermoskanne zurückkehrte, die er sich auf den Schoß geklemmt hatte.
     
    Am Morgen verbrachte Ricky mit den Utensilien des Maskenbildners geraume Zeit vor dem Badezimmerspiegel seines Zimmers und malte sich direkt neben seinem linken Auge eine Prellung und eine Narbe auf; dazu die rot-violette Verfärbung, die unweigerlich die Aufmerksamkeit eines jeden Gesprächspartners auf sich ziehen würde. Das war elementare Psychologie. So wie die Leute, mit denen er in Pensacola geredet hatte, sich nicht daran erinnern würden, wer er war, sondern nur, was, so würde er hier unweigerlich das ganze Augenmerk auf seinen Makel lenken statt auf seine Züge. Zusätzlich versteckte er das Gesicht unter seinem zerzausten Bart. Der falsche Hängebauch unter seinem T-Shirt rundete das Ganze ab. Er wünschte sich, er hätte auch an eine Absatzerhöhung gedacht. Das musste eben bis zur nächsten Gelegenheit warten. Nachdem er einen billigen Anzug angezogenhatte, steckte er sich die Pistole zusammen mit dem zusätzlichen

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