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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Marathonläufer, der die Zielgerade vor sich ahnt und bei jedem Schritt und Atemzug die Schmerzen in den Beinen und die Erschöpfung abschätzt.

31
     
    Es war kurz nach Mitternacht, als Ricky das Mauthäuschen am Westufer des Hudson direkt hinter Kingston im Staate New York erreichte. Er war schnell gefahren, bis an den Punkt, wo er Gefahr gelaufen wäre, von einem irritierten Polizisten angehalten zu werden. Es war, so kam es ihm vor, ein Sinnbild für ein Gutteil seines früheren Lebens. Er hätte gerne Gas gegeben, doch gänzlich abheben wollte er nicht. Die Phantasiefigur Frederick Lazarus hätte den Leihwagen auf hundert Stundenmeilen getrieben, doch er selbst scheute davor zurück. Es war, als säßen beide Männer – Richard Lively, der sich versteckte, und Frederick Lazarus, der kämpfen wollte – auf dieser nächtlichen Fahrt im Wagen. Ihm wurde bewusst, dass er mit der Inszenierung seines eigenen Todes einen Mittelweg zwischen Wagnis und sicherer Deckung angestrebt hatte. Doch nun begriff er auch, dass er wohl nicht mehr so unsichtbar war, wie er sich einmal eingeredet hatte. Der Mann, der nach ihm suchte, davon ging er aus, war ihm dicht auf den Fersen, denn zweifellos hatte er all die Brocken, die er ihm hingeworfen hatte – all die kleinen Anhaltspunkte und Verbindungslinien von New Hampshire über den Highway schnurstracks nach New York und von dort nach New Jersey hinüber –, gefunden und geschluckt.
    Doch auch er selbst war dicht dran.
    Es war ein Wettlauf auf Leben und Tod. Ein Geist, der einen Toten verfolgt. Ein Toter, der einen Geist verfolgt.
    So spät in der Nacht allein auf weiter Flur, bezahlte er seine Maut, um die Brücke zu überqueren. Der Kassierer hatte eine
Playboy
-Ausgabe vor sich, in die er mehr starrte, als dass er darin las, so dass er Ricky nur einen flüchtigen Blick zuwarf. Die Brücke selbst ist eine architektonische Kuriosität. Von einer Reihe gelblich grüner Natriumdampflaternen erleuchtet, erhebt sie sich etwa fünfzig Meter über das schwarze Band des Hudson, um auf der Rhinbecker Seite wieder abzusteigen und mit dem dunklen, flachen Ackerland der Gegend zu verschmelzen. Aus der Ferne wirkt sie daher wie ein funkelndes Collier an einem ebenholzschwarzen Hals. Es war eine irritierende Fahrt, gestand er sich ein, während er die Straße ansteuerte, die in einer finsteren Grube zu enden schien. Seine Scheinwerfer schnitten schwache, bleiche Lichtkegel in die Nacht.
    Er fand eine geeignete Stelle, um den Wagen zu parken, und holte eins der zwei verbliebenen Handys aus dem Rucksack. Dann wählte er die Nummer des letzten Hotels, in dem Frederick Lazarus absteigen sollte. Es war ein heruntergekommenes, schäbiges und billiges Etablissement, nur einen Hauch besser als ein Stundenhotel für Prostituierte mit ihren Freiern. Er ging davon aus, dass der Nachtportier wenig zu tun bekam, es sei denn, jemand wäre in dieser Nacht auf dem Gelände des Hotels erschossen oder zusammengeschlagen worden, was nicht sehr wahrscheinlich war.
    »Hotel Excelsior, was kann ich für Sie tun?«
    »Frederick Lazarus«, sagte Ricky. »Ich hatte eine Reservierung für heute Nacht. Aber ich schaff’s nicht vor morgen.«
    »Kein Problem«, sagte der Mann, der bei dem Stichwort Reservierung nur müde lachen konnte. »Da haben wir genauso viel frei wie heute. Wir sind in dieser Saison nicht eben ausgebucht.«
    »Können Sie wohl feststellen, ob jemand eine Nachricht für mich hinterlassen hat?«
    »Augenblick …«, sagte der Mann. Ricky hörte, wie er den Hörer auf die Theke legte. Nach einem kurzen Moment meldete er sich wieder. »Und ob«, sagte er. »Sie scheinen ziemlich gefragt zu sein. Sind mindestens drei oder vier …«
    »Lesen Sie sie mir vor«, sagte Ricky. »Und ich werde mich bei meiner Ankunft erkenntlich zeigen.«
    Der Mann las die Nachrichten vor. Es handelte sich um Rickys eigene Anrufe, sonst keine. Er überlegte.
    »Ist jemand dagewesen und hat nach mir gefragt? Ich hatte eigentlich einen Termin …«
    Der Nachtportier zögerte wieder, und diese Sekunde verriet Ricky, was er wissen musste. Bevor der Mann leugnen konnte, sagte Ricky: »Sie ist umwerfend, nicht wahr? Der Typ Frau, die kriegt, was sie will und wann sie es will, ohne dass man ihr lästige Fragen stellt, hab ich Recht? Bedeutend mehr Klasse, als was gewöhnlich bei Ihnen zur Tür hereinspaziert.«
    Der Angestellte hüstelte.
    »Ist sie noch da?«, fragte Ricky in herrischem Ton.
    Nach ein, zwei Sekunden flüsterte

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