Der Patient
»Sie konzentrieren sich nur nicht. Ich will Ihnen damit sagen, dass ich kein Tierfreund bin.«
Während er dies sagte, hob er den Lauf ein wenig, nahm alles zusammen, was er in den Stunden am Schießstand oben in New Hampshire gelernt hatte, wurde ganz ruhig, holte einmal tief Luft und drückte ein einziges Mal ab.
Die Pistole ruckte abrupt in seiner Hand. Ein kurzer Knall hallte mit einem jaulenden Geräusch durch die Dunkelheit. Ricky schätzte, dass die Kugel ein Stück Zaun getroffen und zersplittert hatte. Er konnte nicht sagen, ob der Rottweiler getroffen war oder nicht. Der Zwingerbesitzer sah ihn entgeistert an, fast als hätte er ihm eine Ohrfeige verpasst, und erlegte sich die Hand an die Wange, als wollte er prüfen, ob die vorbeirasende Kugel ihn aufgeschlitzt hatte.
Gleichzeitig setzte das Tohuwabohu der Hunde von neuem ein, eine ohrenbetäubende Sirene aus Jaulen, Jagen und Japsen.
Brutus, das einzige Tier, das eingesperrt war, verstand die Bedrohung und warf sich erneut in blinder Wut gegen den Maschendraht, der ihm den Weg versperrte.
»Wie’s aussieht, voll daneben«, sagte Ricky nonchalant. »Verdammt. Dabei hab ich gedacht, ich wär so ’n toller Schütze.« Er richtete die Pistole auf das unbändig tobende Tier.
»Jesses, Maria und Josef«, brachte der Zwingerbesitzer endlich heraus.
Ricky lächelte wieder. »Nicht hier. Nicht jetzt. Also, mit Religion hat das hier nun wirklich nichts zu tun. Die entscheidende Frage ist doch: Lieben Sie Ihren Hund da drinnen?«
»Gott! Warten Sie!« Der Mann war jetzt fast so außer sich wie die Tiere, die auf der Einfahrt tobten. Er hielt beschwichtigend die Hand in die Höhe.
Ricky beäugte ihn mit derselben Neugier wie ein Insekt, das er jeden Moment mit der flachen Hand erschlagen konnte. Mit beiläufigem, distanziertem Interesse.
»Warten Sie doch mal!«, beharrte der Mann.
»Sie haben mir was zu sagen?«, fragte Ricky.
»Ja, verdammt! Wenn Sie mich lassen.«
»Ich warte.«
»Dieser Hund ist Tausende wert«, erklärte der Mann. »Er ist der Alpharüde, und ich habe Stunden, was sag ich, mein halbes Leben damit zugebracht, verdammt noch mal, ihn abzurichten. Er ist ein gottverdammter Champion, und Sie wollen ihn erschießen?«
»Sie lassen mir ja keine andere Wahl. Ich könnte natürlichauch Sie erschießen, aber dann würde ich ja nicht erfahren, was ich wissen muss, und falls die Cops mich durch akribische Ermittlungsarbeit je in die Finger kriegen würden, na ja, dann bekäme ich wohl eine schlimme Anklage an den Hals, aber Sie hätten nichts mehr davon, denn Sie wären ja tot. Andererseits, also, wie gesagt, ich bin kein großer Tierfreund. Und Brutus da, der mag ja für Sie ein schönes Sümmchen und auch sonst noch einiges wert sein, und vielleicht haben Sie ja sogar auch ein paar Gefühle für ihn übrig, aber für mich ist er nichts weiter als ein wütender, geifernder Köter, der nur darauf wartet, mir an die Gurgel zu springen. Also, vor die Wahl gestellt, würde ich sagen, es ist Zeit, dass Brutus in diesen großen, ewigen Zwinger dort oben eingeht.«
Rickys Ton war voll spöttischer Heiterkeit. Er wollte, dass der Mann ihn für so grausam hielt, wie er klang, was eigentlich nicht schwer fallen durfte.
»Warten Sie ’ne Sekunde«, sagte der Zwingerbesitzer.
»Sehen Sie«, erwiderte Ricky, »jetzt kommen Sie ins Grübeln. Ist es das Leben des Hundes wert, mir Informationen vorzuenthalten? Sie sind am Zug, Arschloch. Aber überlegen Sie sich gut, was Sie sagen, weil ich nämlich so langsam die Geduld verliere. Ich meine, fragen Sie sich doch selber: Wem bin ich was schuldig? Diesem Hund, der mir so viele Jahre lang ein treuer Gefährte und außerdem eine gute Einnahmequelle gewesen ist … oder irgendwelchen Fremden, die sich mein Schweigen erkaufen? Entscheiden Sie sich.«
»Ich weiß nicht, wer die sind …«, fing der Mann an, was Ricky veranlasste, auf den Hund zu zielen. Diesmal hielt er die Waffe mit beiden Händen. »Na schön … ich sage Ihnen, was ich weiß.«
»Würde ich Ihnen auch raten. Und Brutus wird Ihnen Ihre Großzügigkeit wahrscheinlich mit verstärkter Hingabe dankenund Ihnen noch so manchen Wurf von ebenso dämlichen und unübertroffen wilden Biestern zeugen.«
»Viel weiß ich aber nicht …«, baute der Zwingerbesitzer vor.
»Schlechter Anfang«, sagte Ricky. »Eine Ausrede, bevor Sie überhaupt angefangen haben.«
Er feuerte augenblicklich einen zweiten Schuss in die Richtung des wütenden Tiers.
Weitere Kostenlose Bücher