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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sind beträchtlich«, sagte der Therapeut in enger Anlehnung an das, was kurz zuvor Anwalt Merlin behauptet hatte. »Offen gesagt, Herr Kollege, finde ich Ihr Leugnen alles andere als überzeugend.«
    »Welche Einzelheiten also?«
    Soloman zögerte eine Weile, bevor er sagte: »Sie hat Sie beschrieben, körperlich, in allen Einzelheiten. Sie hat Ihre Praxis beschrieben. Sie kann Ihre Stimme nachahmen, und zwar, wie ich jetzt sagen kann, geradezu unheimlich getreu …«
    »Unmöglich«, platzte Ricky heraus.
    Doktor Soloman legte erneut eine Pause ein und fragte dann, »Sagen Sie, Herr Kollege, an der Wand in Ihrer Praxis, neben dem Porträt von Freud, hängt da ein kleiner, in Blau-Gelb gehaltener Holzschnitt von einem Sonnenuntergang am Cape Cod?«
    Ricky blieb die Luft weg. Zu den wenigen Kunstwerken, die in seiner mönchischen Welt verblieben waren, gehörte ebendieses Bild. Es war ein Geschenk seiner Frau zu ihrem fünfzehnten Hochzeitstag gewesen und einer der wenigen Gegenstände, die seine Säuberungsaktion, nachdem sie ihrem Krebsleiden erlegen war, überstanden hatte.
    »Es hängt da, nicht wahr? Meine Patientin hat erklärt, sie habe immer dieses Kunstwerk fixiert und versucht, sich mit einer Willensanstrengung in dieses Bild zu versetzen, während sie von Ihnen sexuell missbraucht wurde. Eine außerkörperliche Erfahrung gewissermaßen. Mir sind andere Fälle von Sexualdelikten bekannt, bei denen die Opfer so etwas tun und sichvorstellen, an einem anderen Ort zu sein. Das ist kein ungewöhnlicher Selbstschutzmechanismus.«
    Ricky schluckte schwer. »Nichts dergleichen hat jemals stattgefunden.«
    »Nun ja«, sagte Soloman unvermittelt, »davon müssen Sie nicht mich überzeugen, oder?«
    Ricky überlegte einen Moment, bevor er fragte, »Wie lange ist diese Patientin schon bei Ihnen in Behandlung?«
    »Seit einem halben Jahr. Und wir haben noch einen verdammt langen Weg vor uns.«
    »Wer hat sie an Sie überwiesen?«
    »Wie bitte?«
    »Wer sie an Sie überwiesen hat?«
    »Ich weiß nicht, ob ich mich recht entsinne …«
    »Wollen Sie mir erzählen, dass eine Frau, die ein derartiges Trauma erlitten hat, Sie einfach aus dem Telefonbuch rausgesucht hat?«
    »Ich müsste in meinen Unterlagen nachsehen.«
    »Das sollten Sie aus dem Kopf wissen, würde ich meinen.«
    »Trotzdem müsste ich nachsehen.«
    Ricky schnaubte verächtlich. »Sie werden feststellen, dass sie niemand überwiesen hat. Sie hat Sie sich aus einem ganz offensichtlichen Grund ausgesucht. Deshalb noch einmal die Frage: Wieso Sie, Herr Kollege?«
    Soloman ließ sich mit der Antwort ein wenig Zeit. »Ich habe in dieser Stadt einen gewissen Ruf, Opfer von Sexualdelikten erfolgreich zu behandeln.«
    »Was verstehen Sie unter
Ruf?«
    »Es hat ein paar Artikel über meine Arbeit in der hiesigen Presse gegeben.«
    Rickys Gedanken überschlugen sich. »Sagen Sie oft vor Gericht aus?«
    »Nicht allzu häufig. Aber ich bin mit den Verfahrensweisen vertraut.«
    »Wie oft ist ›nicht oft‹?«
    »Drei-, viermal. Und ich weiß sehr wohl, worauf Sie hinauswollen. Ja, es ging dabei um Fälle, die ein großes Interesse in der Öffentlichkeit erregt haben.«
    »Sind Sie je als Sachverständiger aufgetreten?«
    »Ja, schon. Bei mehreren Zivilverfahren, einschließlich einem gegen einen Psychiater, der mehr oder weniger desselben Vergehens wie Sie beschuldigt wurde. Außerdem habe ich an der Medizinischen Fakultät der Universität von Massachusetts eine Dozentur inne und halte Vorlesungen zum Thema Rehabilitationsprofile bei Verbrechensopfern …«
    »Stand Ihr Name in der Zeitung, kurz bevor sich diese Patientin an Sie wandte? Ich meine, an markanter Stelle?«
    »Ja. Ein Feature im
Boston Globe
. Aber ich kann nicht erkennen, wieso …«
    »Und Sie wollen immer noch behaupten, Ihre Patientin sei glaubwürdig?«
    »Allerdings. Ich habe sie jetzt seit einem halben Jahr in Behandlung. Zwei Sitzungen die Woche. Alles, was sie sagt, ist vollkommen stimmig. Nichts, was sie bisher gesagt hat, veranlasst mich auch nur im Mindesten, an ihrem Wort zu zweifeln. Herr Kollege, Sie wissen doch so gut wie ich, dass es nahezu unmöglich ist, einen Therapeuten erfolgreich anzulügen, besonders über einen so langen Zeitraum.«
    Noch wenige Tage zuvor hätte Ricky dieser Einschätzung zugestimmt.
    Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher.
    »Und wo ist sie jetzt?«
    »Sie ist bis einschließlich der dritten Augustwoche in Urlaub.«
    »Hat sie Ihnen zufällig eine

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