Der Pfad der Dolche
daß sie hätte jammern sollen. Ihr Herz pochte heftig.
»Ich weiß nicht, wie lange ich das hier noch halten kann.« Das galt sowohl für das Gewebe insgesamt als auch für den einzelnen Faden, Entglitt er ihr? »Flieht, so schnell ihr könnt. Auf der anderen Seite der Berge solltet ihr sicher sein, aber jeder Meter, den ihr bewältigen könnt, nützt etwas. Geht!«
Birgitte grollte etwas in der Alten Sprache, aber nichts, was Elayne bekannt war. Es klang wie Sätze, die sie gern lernen würde. Wenn jemals die Gelegenheit dazu bestünde. Birgittes folgende Worte konnte Elayne jedoch verstehen. »Wenn du dieses verdammte Ding losläßt, bevor ich es dir sage, wirst du nicht mehr darauf warten müssen, daß Nynaeve dir die Haut abzieht. Ich werde es selbst tun - dann erst kommt sie an die Reihe. Sei einfach still und halte fest! Aviendha, komm hier herum - hinter dieses Ding! Kannst du es von der Rückseite aus aufrechterhalten? Komm her und steig auf eines dieser verdammten Pferde.«
»Solange ich sehen kann, wo ich weben muß«, erwiderte Aviendha und richtete sich taumelnd auf. Sie wankte seitwärts und fing sich nur mühsam wieder. Blut aus einer bösen Wunde floß ihren Ärmel hinab. »Ich denke, ich kann es.« Sie verschwand hinter dem Wegetor, und die Feuerkugeln barsten weiterhin. Man konnte von der anderen Seite durch ein Wegetor hindurchblicken, aber das Bild erschien dann wie ein Trugbild. Man konnte von jener Seite jedoch nicht hindurchgehen - der Versuch wäre extrem schmerzhaft -, und als Aviendha wieder erschien, wankte sie noch stärker. Birgitte half ihr, auf ihr Pferd zu steigen - rückwärts. Auch das noch!
Als Birgitte ihr dringliche Zeichen gab, machte Elayne sich nicht die Mühe, den Kopf zu schütteln. Sie fürchtete, was geschehen könnte, wenn sie es tat. »Ich bin mir nicht sicher, daß ich noch festhalten kann, wenn ich aufzustehen versuche.« In Wahrheit war sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt aufstehen konnte. Es hatte nichts mehr mit Erschöpfung zu tun -ihre Muskeln hatten jede Kraft verloren. »Reitet, so schnell ihr könnt. Ich werde so lange festhalten wie möglich. Bitte, geht!«
Birgitte murmelte in der Alten Sprache Flüche - es mußten Flüche sein, denn nichts sonst klang jemals so! - und drückte Aviendha die Zügel der Pferde in die Hand. Sie hinkte zu Elayne, wobei sie zweimal beinahe hinfiel, und beugte sich herab, um sie an den Schultern zu fassen. »Du kannst festhalten«, sagte sie, wobei ihre Stimme voller Überzeugung war, die sie auch Elayne gefühlsmäßig vermittelte. »Ich bin vor dir noch niemals einer Königin von Andor begegnet, aber ich habe Königinnen wie dich gekannt. Ihr habt ein Rückgrat aus Stahl und das Herz einer Löwin. Du kannst es schaffen!«
Sie zog Elayne langsam hoch, wartete ihre Antwort jedoch nicht ab. Ihr Gesicht war angespannt, und der Schmerz in ihrem Bein hallte in Elaynes Kopf wider. Elayne zitterte unter der Anstrengung, das Gewebe festzuhalten. Sie war überrascht, sich aufrecht stehend wiederzufinden. Und lebend. Birgittes Bein pochte in ihrem Kopf wie wahnsinnig. Sie versuchte, sich nicht auf Birgitte zu stützen, aber ihre zitternden Glieder wollten sie nicht mehr allein tragen. Als sie auf die Pferde zuwankten, schaute sie beständig über die Schulter zurück. Sie konnte ein Gewebe festhalten, ohne hinzusehen - normalerweise konnte sie es -, aber sie mußte sich versichern, daß sie diesen einen Faden tatsächlich noch unter Kontrolle hielt, daß er ihr nicht entglitt. Das Wegetor erinnerte jetzt an kein ihr bekanntes Gewebe mehr, es wand sich wild und verflocht wirre Tentakel.
Stöhnend hob Birgitte sie eher in den Sattel, als daß sie ihr nur hinaufhalf. Rückwärts, genau wie bei Aviendha! »Du mußt sehen können«, erklärte sie und hinkte zu ihrem Wallach. Die Zügel aller drei Pferde in Händen zog sie sich mühsam hoch, ohne einen Laut auszustoßen, aber Elayne empfand ihren Schmerz. »Du tust, was getan werden muß, und überläßt es mir, wohin wir reiten.« Birgitte bohrte ihrem Wallach die Fersen in die Flanken, und die Pferde galoppierten in wilder Flucht davon.
Elayne klammerte sich ebenso verbissen an ihren Sattel, wie sie sich an das Gewebe, an Saidar selbst klammerte. Das galoppierende Pferd schüttelte sie durch, und sie konnte nur versuchen, im Sattel zu bleiben. Aviendha benutzte den Zwiesel ihres Sattels als Stütze. Sie atmete durch den weit aufgerissenen Mund, und ihr Blick wirkte starr. Das
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