Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
mit dem dunklen Himmel, das Seelengießen … und jetzt dies hier.
Wie hatte Jasnah überleben können? Wie denn nur?
Mit zitternden Fingern griff Schallan nach dem Beutel auf dem Nachttisch neben ihr. Darin fand sie die Granatkugel, die Jasnah zu ihrer Rettung benutzt hatte. Sie strahlte noch ein schwaches Licht aus; das meiste war beim Seelengießen abgeflossen. Es reichte gerade aus, um ihren Zeichenblock zu erhellen, der neben dem Bett lag. Jasnah hatte sich vermutlich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn durchzublättern. Sie stand den bildenden Künsten ja so ablehnend gegenüber. Neben dem Zeichenblock lag das Buch, das Jasnah ihr gegeben hatte. Das Buch der endlosen Seiten . Warum hatte sie es eigentlich hier gelassen?
Schallan nahm den Kohlestift auf und blätterte bis zur nächsten leeren Seite in ihrem Block. Dabei huschten einige Bilder der symbolköpfigen Gestalten an ihrem Blick vorbei, von denen ein paar in diesem Zimmer dargestellt waren. Sie waren immer in der Nähe. Manchmal glaubte Schallan sie aus den Augenwinkeln heraus zu sehen. Und zu anderen Zeiten schien sie die Wesen flüstern zu hören. Sie hatte es bisher nicht gewagt, sie anzusprechen.
Mit zitternden Fingern zeichnete sie Jasnah so, wie sie sie an jenem Tag im Krankenhaus in Erinnerung hatte. Sie hatte neben Schallans Bett gesessen und das Töpfchen mit der Marmelade in der Hand gehalten. Schallan hatte sich das Bild nicht eingeprägt und erinnerte sich daher nicht so genau daran wie bei ihren anderen Arbeiten. Aber sie wusste doch noch, dass Jasnah den Finger in die Marmelade getunkt hatte, und so zeichnete Schallan sie nun. Dann hatte sie den Finger an die Nase gehoben und den Erdbeerduft eingeatmet. Warum dies? Warum hatte sie den Finger in das Töpfchen gesteckt? Hätte es nicht ausgereicht, es an die Nase zu führen?
Jasnah hatte über den Geruch nicht die Nase gerümpft. Und sie hatte nicht erwähnt, dass die Marmelade schlecht geworden war. Sie hatte einfach nur den Deckel wieder zugedreht und das Töpfchen zurückgegeben.
Schallan blätterte zu der nächsten leeren Seite weiter und zeichnete Jasnah mit einem Stück Brot, das sie zwischen den Fingern hielt und gerade zum Mund führte. Es war natürlich keine vollkommen genaue Wiedergabe, aber sie kam der Wirklichkeit doch nahe genug. In der Zeichnung sah es fast so aus, als schmelze das Brot. Als würde es zwischen Jasnahs Fingern übermäßig fest gedrückt werden, bevor sie es sich in den Mund stopfte.
Wäre … wäre es möglich, dass …?
Schallan schlüpfte aus dem Bett, nahm die Kugel und trug sie in der Hand, während sie sich den Zeichenblock unter den Arm gesteckt hatte. Die Wächterin war verschwunden. Niemand schien sich darum zu kümmern, wie es ihr ging; schließlich würde sie morgen früh abreisen.
Der Steinfußboden fühlte sich unter ihren bloßen Füßen kalt an. Sie trug nur ihre weiße Robe und fühlte sich darin fast nackt. Zumindest war ihre Schutzhand bedeckt. Es gab eine Tür nach draußen und zur Stadt am Ende des Korridors. Sie trat hindurch.
Heimlich durchquerte sie die Stadt, schlug sich zur Ralinsa-Straße durch und vermied dabei die dunklen Gassen. Sie ging zum Konklave hoch, ihr langes rotes Haar flog frei im Wind und zog zahlreiche seltsame Blicke an. Aber es war schon so spät, dass niemand auf der Straße sie fragte, ob sie Hilfe brauchte.
Die Diener am Eingang des Konklaves ließen sie eintreten. Sie erkannten Schallan, und hier fragten nun doch einige, ob sie ihr helfen könnten. Schallan lehnte jedoch ab und ging allein zum Schleier. Sie trat nach drinnen und schaute an den Wänden mit den Logen hoch, von denen einige durch Kugeln erhellt waren.
Jasnahs Alkoven war besetzt. Natürlich. Jasnah arbeitete ja immer. Sicherlich war sie sehr ungehalten darüber, dass sie wegen Schallans angeblichem Selbstmordversuch so viel Zeit verloren hatte.
Der Aufzug schwankte unter Schallans Füßen, als die Parscher sie zu Jasnahs Stockwerk hochzogen. Schallan schwieg und fühlte sich seltsam abgetrennt von der Welt um sie herum. Sie ging durch den Palast – durch die Stadt – und nur mit einer dünnen Robe gekleidet? Sie wollte sich also wieder Jasnah Kholin entgegenstellen? Hatte sie denn nichts gelernt?
Aber was hatte sie zu verlieren?
Sie schritt den vertrauten Steinkorridor bis zu Jasnahs Alkoven entlang und hielt dabei die schwach blau leuchtende Kugel in der Hand. Jasnah saß an ihrem Schreibtisch. Sie wirkte ungewöhnlich müde, hatte
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