Der pfeifende Mörder
neuen Aktentasche …
Die Villa des Fabrikanten Fried Eemslor lag etwas abseits von den anderen Häusern in einem großen, sehr gepflegten Park, den ein Gärtner in Ordnung hielt. Von der Auffahrt führte eine breite Steintreppe hinauf zum Eingang. Dann betraten die beiden Beamten das Foyer der Villa, das eine große, lichterfüllte Halle mit bis auf die Erde hinuntergezogenen Fenstern war. Dort erwartete trotz der zeitigen Stunde der Fabrikant schon den Kommissär und dessen Assistenten. Leerdam hatte per Autotelefon seinen Besuch angekündigt.
Frau Eemslor lag mit einem leichten Nervenschock auf ihrem Zimmer. Man erwartete den Arzt. Fried Eemslor führte die Beamten in seine Bibliothek und bot ihnen zuerst einen wärmenden Schluck an, den Leerdam – zum Leidwesen Schouwens – ablehnte, getreu der international gültigen Regel ›Schnaps ist Schnaps, und Dienst ist Dienst‹ – oder umgekehrt.
Der Fabrikant selbst genehmigte sich ein Glas. Es war schon das vierte oder fünfte, seit ihn kaum eine Stunde zuvor die erste Schreckensmeldung der Polizei erreicht hatte. Trotzdem war er aber noch in der Lage, Leerdams Fragen durchaus präzise zu beantworten.
»Seit wann befand sich Lissa Tenboldt in Ihrem Haus?«
»Seit einem Jahr.«
»Zu welchem Zwecke?«
»Sie strebte eine Ausbildung als Haustochter an.«
Leerdam fand das ein bißchen hochgestochen und fragte deshalb: »Ist dazu ein besonderes Ausmaß an Intelligenz erforderlich?«
»Sie wollen wissen«, antwortete der Fabrikant, »ob Lissa dumm oder klug war?«
»Ja. Sehen Sie, Mordopfer machen es den Kerlen, die ihnen zum Verderben werden, oft unglaublich leicht; sie kriechen denen in der naivsten – um nicht zu sagen: blödesten – Weise auf den Leim. Ist das Opfer aber intelligent, erlaubt uns das Rückschlüsse auf die entsprechende Veranlagung des Täters – daß wir ihm also auch einen überdurchschnittlichen Intelligenzgrad zugestehen müssen. Die Ermittlungsarbeit, die anzulegen ist, kann davon ganz entscheidend geprägt werden.«
»Dann dürfen Sie davon ausgehen, daß Ihnen der Kerl, den Sie suchen, schweres Kopfzerbrechen machen wird.«
»Wieso?«
»Weil Lissa ein hochintelligentes, bildungsbeflissenes Mädchen war, eines, das mit Abitur und drei Semestern Philosophie zu uns kam.«
Leerdam war sichtlich überrascht.
»Und dann wollte sie Haustochter werden?« fragte er.
»Ja.«
Da fehlte noch eine Erklärung, das spürte auch der Fabrikant, weshalb er ungefragt hinzusetzte: »Wir hatten vor, sie nach ihrer Lehrzeit ganz zu uns zu nehmen. Sie war ein außerordentlich liebes Mädchen.«
Aha, dachte der Kommissär.
»Sie haben keine eigenen Kinder, nehme ich an«, sagte er.
»Leider nein.«
»Die nächste Frage mag Ihnen vielleicht nicht gefallen, aber sie ist von entscheidender Wichtigkeit: Wie stand Lissa Tenboldt zu Männern?«
»Ich verstehe, was Sie meinen. – Nein, Lissa war ein anständiges Mädchen.«
»Noch Jungfrau – falls Sie das wissen?«
»Nein, Jungfrau wohl nicht mehr, aber auch keine, die jede Woche einen anderen gehabt hätte.«
»Hat sie Ihnen diesbezüglich Einblicke in ihr Privatleben gewährt?«
»Ja. Wir ersetzten ihr praktisch schon die Eltern.«
»Eltern sind da oft die letzten, denen etwas anvertraut wird.«
»Lissa erzählte uns, glaube ich, alles.«
»Was, zum Beispiel?«
»Sie war in letzter Zeit verliebt in einen jungen Mann …«
»So?«
»… einen Kunstmaler.«
Leerdam wechselte mit Schouwen einen Blick, in dem zum Ausdruck kam: Siehst du, kein Chirurg, kein Metzger, kein Tierarzt – ein Kunstmaler!
»Allerdings«, fuhr der Fabrikant fort, »haben meine Frau und ich versucht, ihr den von Anfang an auszureden.«
»So?«
Der jagdfiebrige Glanz in Leerdams Augen steckte auch Schouwen an.
»Anscheinend waren unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt«, sagte Eemslor. »Das war vielleicht ein Fehler.«
»Was machte Ihnen diesen Kunstmaler verdächtig?«
»Verdächtig? Verdächtig ist nicht der richtige Ausdruck, Herr Kommissär. Wir waren gegen den wegen seines Berufes.«
»Sie meinen …«, Leerdam räusperte sich, »… er verdiente kein Geld?«
»Ganz richtig. Er schien sogar begabt zu sein, aber er hatte jedenfalls keinen Erfolg, und das war für uns ausschlaggebend. Es gibt eben zu viele Männer, die Leinwände vollschmieren. Der hatte nie einen Knopf in der Tasche … schrecklich!«
Und das sagte der Angehörige einer Nation, die der Welt den vielleicht größten Maler aller Zeiten
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