Der pfeifende Mörder
Leerdam alle Hoffnungen begraben werden. Bei den Beerdigungen zeigten sich nur geachtete Bürgerinnen und Bürger Leeuwardens. Sogar der Bürgermeister war anwesend und ließ es sich nicht nehmen, jeweils eine Trauerrede zu halten. Leerdam hörte aus der zweiten Rede des Bürgermeisters den Vorwurf heraus, daß die Polizei nicht die Erwartungen der Bevölkerung erfülle. Verärgert wandte sich Leerdam ab und stapfte über die feuchten Wege zurück zum Ausgang des Friedhofs, wo Schouwen in der Nähe postiert war, um Kommende und Gehende zu beobachten.
»Na, war irgendwas, Wilm?«
»Nein. Bei Ihnen?«
»Auch nicht. Aufgeregt hat mich nur das Geschwätz des Bürgermeisters.«
»Hat er mit Ihnen gesprochen?«
»Nicht mit mir – mit allen! Er ließ eine Trauerrede vom Stapel, die wir unfähigen Polizisten uns hinter den Spiegel stecken können. Hören Sie ihn denn nicht?« Leerdam zeigte mit dem Daumen in Richtung des offenen Grabes am entgegengesetzten Ende des Friedhofs. »Da quatscht er immer noch!«
»Gestern kam mir mein Schwager auch so dumm, Chef. Dem habe ich aber die Meinung gegeigt!«
»Dann geigen Sie sie mal auch dem Bürgermeister!«
Vier Tage später hielt ganz Holland entsetzt den Atem an. Ein dritter Mord geschah, dem das Hackebeil des Mörders das Gepräge gab. Und diesem folgten, in Abständen von je einem Tag, zwei weitere. Das wahnsinnig gewordene Tempo des Mörders forderte die ganze Nation heraus. Die Kriminalgeschichte aller Länder kannte keinen gleichgearteten Vorgang.
Die Rümpfe der Opfer wurden in Ferwerd, Sexbierum und St. Jacobi gefunden; der in Ferwerd wieder von dem Fischer Peer van Hoest.
Die erwartete Mordserie war Wirklichkeit geworden.
Kommissär Paul Leerdam war einem Nervenzusammenbruch nahe. Die Telefonleitung zwischen ihm und Amsterdam glühte schier. Der Innenminister wollte ihn fast täglich sprechen. Fehlt mir nur noch die Königin selbst, dachte Leerdam.
Aus allen Ecken Europas fielen Reporter in Leeuwarden ein. Vermutungen wurden laut, Verdächtigungen …
Wahrsager versahen die Welt mit ihren Erkenntnissen. Verrückte, Abartige stellten sich der Polizei und gaben sich als den Mörder aus, der gesucht wurde. Jeder Selbstbeschuldigung mußte nachgegangen werden, bis sie sich als haltlos herausgestellt hatte. Natürlich belastete das die Arbeit der Polizei immens. Kommissär Leerdam hätte deshalb jedem dieser Kerle bei der notwendig gewordenen Entlassung aus der Untersuchungshaft am liebsten einen Tritt in den Hintern verpaßt. Die Leichen der Ermordeten wurden nach Leeuwarden geschafft, dort gewissermaßen ›gesammelt‹. Sie lagen im Kühlraum des Städtischen Krankenhauses. Es handelte sich um:
Maria Steufels, Modistin, 24 Jahre alt,
Erna Schagen, Schülerin, 19 Jahre,
Grit Vonmeeren, Hausgehilfin, 30 Jahre.
Paul Leerdam stand vor den drei Bahren und betrachtete die drei verhüllten, langgestreckten Gestalten. An seiner Seite befand sich Wilm Schouwen. Es war unheimlich still in dem empfindlich kalten Raum. Leerdam, ganz in Gedanken, traf Anstalten, sich eine Zigarre anzuzünden.
»Nicht hier, Chef«, ermahnte ihn Schouwen mit einer Stimme, die irgendwie krächzend klang.
Leerdam besann sich und ließ die Zigarre in der Tasche stecken.
»Wilm«, sagte er, »Sie haben alles notiert. Woher kamen die drei?«
Schouwen zog sein unentbehrliches Notizbuch zu Rate.
»Die Maria Steufels«, begann er, »aus Medemblick. Medemblick liegt am Ausgang der Ijsselsee. Grit Vonmeeren kam aus Kennum, von der Insel Terschelling also. Erna Schagen war Schülerin des Gymnasiums in Zwolle. Alle drei sind sie aber an ihren Todestagen vermutlich irgendwie nach Leeuwarden geraten, wurden hier ermordet und ins Meer geworfen.«
»Ziehen wir daraus eine Schlußfolgerung, Wilm: Durch die hautnahen Ereignisse hier und die besonders wirkungsvollen Warnungen an die Adresse der Mädchen und Frauen von Leeuwarden ist es dem Mörder neuerdings wohl unmöglich gemacht worden, sich in unserer Stadt seinen Opfern zu nähern. Er reist deshalb im Land herum und sucht junge Frauen in anderen Städten und Dörfern. Terschelling – Medemblick – Zwolle … das ist ein großer Halbkreis um Leeuwarden herum. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in ganz Holland unsere Warnungen zu verstärken, vor allem diejenige, der Einladung eines Unbekannten nach Leeuwarden Folge zu leisten.«
»Unsere Stadt gerät dadurch in einen beneidenswerten Ruf.«
»Dagegen ist nichts zu machen.«
»Außerdem
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