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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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noch jenes alte jüdische Symbol um den Hals hängen?«, fragte ich über die Schulter.
    »Die Mesusa, die mein Vater mir hinterlassen hat? Ja, warum fragt Ihr?«
    »Ich habe Emma Curteys’ Kreuzlein umhängen. Ich will es Hugh zurückgeben, aber nicht im Beisein der Hobbeys. Wusstest du, dass er ein Stück Knochen um den Hals trägt?«
    »Das Herzkreuz? Ja, Master Avery hat es mir erzählt, der Jagdmeister. Er scheint mir ein anständiger Bursche zu sein.«
    Ich sah mich nach ihm um. »Was sagte er über die Familie?«
    »Er wich mir aus, als ich fragte. Wahrscheinlich auf Anweisung von Fulstowe.« Er blieb plötzlich stehen und hob die Hand.
    »Was ist?«
    »Ich dachte, ich hätte draußen auf der Straße das Getrappel von Hufen gehört. Jetzt ist alles still.«
    Ich vernahm nur das Summen der Insekten, das leise Rascheln im Unterholz, wenn kleine Tiere vor uns Reißaus nahmen. »Ich höre nichts. Vielleicht hast du’s dir eingebildet.«
    »Ich bilde mir nichts ein.« Barak runzelte die Stirn. »Wir wollen die Sache zu Ende bringen, ehe wir nass werden.«
    Der Waldweg verjüngte sich zu einem Trampelpfad, der sich zwischen den Stämmen hindurchschlängelte. Wir befanden uns in uraltem Wald; einige der Bäume waren Riesen, viele hundert Jahre alt. Sie wuchsen üppig und in großer Vielfalt, doch Eichen mit ausladenden Kronen gaben den Ton an. Das dichte Unterholz bestand aus Nesseln, Ranken und kleinen Sträuchern. Wo der Erdboden zum Vorschein kam, war er dunkel und weich, ein hübscher Kontrast zum hellen Sommergrün.
    »Wie weit erstreckt sich das Land der Curteys?«, fragte Barak.
    »Drei Meilen laut Karte. Wir folgen dem Pfad noch eine halbe Meile, dann kehren wir um. Der Wald hier besteht hauptsächlich aus Eichen, und diese bringen doppelt so viel ein wie die anderen Stämme. Jener Vorarbeiter hat uns belogen, und Hobbeys Bücher waren gefälscht.«
    »An unterschiedlichen Orten können doch unterschiedliche Baumsorten wachsen.«
    »Das ist ja der Grund, warum ein Betrug in diesem Zusammenhang so schwer nachprüfbar ist.«
    Wir ritten weiter. Ich war bezaubert von der Stille zwischen den hohen Bäumen. Den Römern zufolge hatte einmal ganz England so ausgesehen. Als Knabe war ich einmal mit meinem Vater durch den Wald von Arden geritten; es war ein Pfad wie dieser, entsann ich mich, und das einzige Mal, dass mein Vater mich je mit auf die Jagd genommen hatte.
    Plötzlich sah ich einen braunen Schatten vor mir und hob warnend die Hand. Wir kamen auf eine kleine Lichtung, wo eine Hirschkuh im Grase stand und äste, zwei Kälber an der Seite. Sie hob witternd den Kopf, als wir uns näherten, und im Nu waren alle drei mit schnellen, wendigen Sprüngen zwischen die Bäume geflüchtet. Ein Brechen durchs Unterholz, dann Stille.
    »Das also war ein wilder Hirsch«, sagte Barak.
    »Du hast noch keinen gesehen?«
    »Ich bin in London aufgewachsen. Aber sogar ich erkenne, dass der Weg sich hier verläuft.« Er hatte recht, der Untergrund wurde moosig und unwegsam.
    »Nur noch ein kleines Stück.«
    Barak seufzte. Wir ritten an einer mächtigen alten Eiche vorüber. Im selben Moment schüttelte ein jäher Windstoß das Laub, und ein dicker Regentropfen landete auf meiner Hand. Im nächsten Augenblick öffnete sich der Himmel, und ein gewaltiger Regenguss ging auf uns nieder.
    »Verflucht!«, rief Barak aus. »Hab ich’s nicht gesagt?«
    Wir wendeten die Pferde, trieben sie durchs Gestrüpp und fanden unter der riesigen alten Eiche Zuflucht. Wir blieben im Sattel sitzen, als der Regen niederprasselte und der Wind, der aufgekommen war, den ganzen Wald erzittern ließ.
    »Der Pfad ist gewiss völlig aufgeweicht, wenn wir zurückreiten«, sagte Barak.
    »Ein solcher Regenguss ist rasch vorüber. Außerdem haben wir gute Pferde.«
    »Wenn ich mir eine Lungenentzündung einfange, geht die Rechnung an Mistress Calfhill –«
    Ein dumpfer Schlag ließ ihn jäh verstummen. Wir wandten uns beide um. Aus dem Stamm hinter uns, knapp über unseren Köpfen, ragte ein Pfeil, dessen weiß befiederter Schaft noch zitterte.
    »Nichts wie weg!«, schrie Barak.
    Er versetzte seinem Pferd die Sporen. Wir brachen durchs Buschwerk zurück auf den Pfad, der schlüpfrig war nach dem Regen. Ich rechnete jede Sekunde damit, einen Pfeil im Rücken zu spüren oder Barak vom Pferd stürzen zu sehen, denn auf dem Weg gaben wir ebenso gute Zielscheiben ab wie unter dem Baum. Doch nichts dergleichen geschah. Nach einem zehnminütigen schwierigen

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