Der Pfeil der Rache
mehr empfangen konnte. Ich hieß die beiden willkommen, vor allem hatte ich mir schon immer eine Tochter gewünscht.« Sie seufzte tief. »Doch die Kinder ließen mich nicht an sich heran. Sie hatten ihre Eltern verloren. Aber verlieren nicht viele Kinder schon früh ihre Eltern?« In ihrem Blick lag ein Flehen.
»Traurigerweise. Meines Wissens suchte Pfarrer Broughton, der Seelsorger der Familie Curteys, die Vormundschaft zu verhindern. Ihr hattet eine Auseinandersetzung mit ihm.«
Abigail hob trotzig das Kinn. »Ja, er hat meinen Mann und mich verleumdet. Mit der Vormundschaft hatte alles seine Richtigkeit.«
»Das kann Master Shardlake nicht bestreiten«, sagte Dyrick. Er hatte ein wachsames Auge auf Abigail, vermutlich aus Sorge, sie könne die Kontrolle verlieren.
»Es muss schrecklich gewesen sein, als alle drei Kinder an den Blattern erkrankten. Um David habt Ihr Euch persönlich gekümmert, ungeachtet der Gefahr.«
Ein Zornesflackern trat in ihre Augen. »Und Hugh und Emma habt Ihr vernachlässigt, wollt Ihr das damit sagen? Nun, Sir, was immer Michael Calfhill von mir behauptet hat, es ist nicht wahr. Ich habe immerzu nach Hugh und Emma gesehen. Aber sie hatten nur Sinn füreinander, nur füreinander.« Sie senkte den Blick, und ich sah, dass sie weinte. Lamkin blickte winselnd zu seiner Herrin empor; sie streichelte ihm über den Kopf und holte ein Schnupftüchlein hervor. »Ich habe Emma verloren«, sagte Abigail leise. »Ich habe das Mädchen, das meine Tochter hätte sein sollen, verloren. Es war meine Schuld, allein meine Schuld. Gott möge mir vergeben.«
»Inwiefern war es Eure Schuld, Mistress Abigail?«
Ihr tränenüberströmtes Gesicht wurde plötzlich verschlossen, und ihre Augen mieden die meinen. »Ich – ich schickte die Diener nach rotem Tuch, es zieht die schlechten Säfte aus dem Leib, aber ich kam zu spät, es gab keines mehr –«
Ich sagte: »Aber gestern erzählte Fulstowe, er habe noch eines ergattert.«
Dyrick warf Abigail einen schnellen Blick zu. »Vielleicht wolltet Ihr sagen, er habe es zu spät besorgt, um Emma zu retten.«
»Ja, so war es«, sagte sie hastig. »Es war zu spät.«
»Ihr beeinflusst die Zeugin, Master Dyrick«, sagte ich ärgerlich. »Barak, sieh zu, dass sein Einwand im Protokoll vermerkt wird.«
»Ich entschuldige mich«, sagte Dyrick gewandt. Abigail holte mehrmals tief Atem, sichtlich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. Warum gab sie sich die Schuld an Emmas Tod?, dachte ich.
Ich fragte, wie sie mit Hugh zurechtkomme. »Recht gut«, antwortete sie schroff. Schließlich befragte ich sie zu Michael Calfhill. »Ich habe ihn nie gemocht«, sagte sie trotzig. »Er versuchte, einen Keil zwischen uns zu treiben.«
»Warum sollte er so etwas tun?«
»Um die Kinder an sich zu binden.«
»Beide, Hugh und Emma?«, fragte ich.
»Jawohl«, antwortete sie ruhig. Dann sagte sie hastig, mit zitternder Stimme: »Aber Michael Calfhill starb eines so schrecklichen, schmerzhaften Todes. Gott möge ihm vergeben, Gott möge ihm vergeben.«
»Wisst Ihr, warum Euer Gemahl ihn entließ?«
Sie holte tief Luft, rang wieder um Fassung. »Ich weiß nur, dass er sich unziemlich verhalten hatte. Was genau er sich zuschulden kommen ließ, wollte mein Gemahl mir nicht verraten. Es eigne sich nicht für die Ohren einer Frau, sagte er.«
»Ist das alles, Master Shardlake?«, fragte Dyrick.
»Ja.« Ich hatte ohnehin schon eine Menge zu verdauen. »Ich habe vielleicht später noch einige Fragen.«
»Das sagt Master Shardlake immer«, meinte Dyrick müde. »Habt Dank, Mistress Abigail.«
Abigail wickelte Lamkin in seine Decke, drückte das Hündchen an ihre Brust, erhob sich und trug es aus dem Zimmer. Ich dachte an ihre Angst vor den Bediensteten, an ihr endloses Gezänk mit ihrem Sohn, die Ungeduld ihres Gemahls gegen sie und an Hughs kalte Gleichgültigkeit. Armes Geschöpf, dachte ich. Nur der Hund will ihre Liebe.
kapitel zwanzig
N ach dem Mittagsmahl holten Barak und ich zwei der Pferde, die wir in Kingston gemietet hatten, aus dem Stall und machten uns auf, die Wälder zu inspizieren. Ich nahm mir Oddleg, das kräftige, fügsame Tier, das mich hierhergetragen hatte. Die graue Wolkendecke hatte sich verdichtet, und die Luft war unangenehm schwer. Wir schlugen den Weg gen Süden ein, nach Portsmouth; Hobbey hatte uns erklärt, dass in dieser Richtung sowohl in seinem wie auch in Hughs Wald Bäume geschlagen würden.
Zur Rechten erstreckte sich eines der
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