Der Pfeil der Rache
will einfach nur nach Hause.«
* * *
Ich begab mich wieder auf mein Zimmer. Auf meinem Bett lag ein Buch. Der
Toxophilus
von Roger Ascham. Ich legte mich hin und schlug es auf. Es begann mit einer blumigen Widmung an den König und seine »ehrenhafte, siegreiche Reise nach Frankreich«. Siegreich, dachte ich. Warum stehen wir dann kurz vor einer französischen Invasion? Und ehrenhaft? Ich musste daran denken, was Leacon mir von dem Feldzug in Schottland gegen Frauen und Kinder gesagt hatte. Ich blätterte durch die Seiten. Der erste Teil bestand aus einem Dialog, in dem ein gewisser Toxophilus – eindeutig Ascham selbst – einem aufmerksamen Schüler die Tugenden des Bogenschießens erklärte. Das Bogenschießen, das den gesamten Körper trainierte, wurde den Risiken und Gefahren des Glückspiels entgegengestellt. Ascham pries den Krieg: »Starke Waffen sollen die Werkzeuge sein, mit denen Gott jenen Teil besiegt, dessen Niederwerfung Er beschlossen hat.«
Ich dachte an meine Kindheit zurück. Ein einziges Mal hatte ich versucht, auf unserem Übungsplatz im Dorf einen Pfeil abzuschießen; mein Vater hatte mich hingeführt, als ich zehn Jahre alt gewesen war, mit einem kleinen Bogen, den er eigens für mich gekauft hatte. Meiner Missbildung wegen war ich nicht imstande gewesen, den Bogen richtig zu spannen; so war mein Pfeil, kaum von der Sehne gelassen, zu Boden gefallen. Die Dorfjugend hatte mich verlacht, und ich war weinend nach Hause gelaufen. Später hatte mein Vater mit jener Enttäuschung in der Stimme, die ich nur allzu gut kannte, festgestellt, dass ich für diese Kunst nicht gebaut sei und nicht mehr hinzugehen brauche.
Beharrlich nahm ich das Buch erneut zur Hand und widmete mich dem zweiten Teil, in welchem der Dialog durch eine Beschreibung von Fertigkeiten und Techniken des Bogenschießens ersetzt war; wie der Schütze sich zu kleiden, welche Haltung er einzunehmen hatte, welche unterschiedlichen Bogen und Pfeile es gab – gründliches, detailliertes Wissen.
Ich legte das Buch beiseite, trat zum offenen Fenster und blickte hinaus auf den Rasen. Was ging in diesem Hause vor? Hobbey mochte sich an Hughs Waldland bereichern, doch das war beileibe nicht alles. Dabei schien dieses Mündel vollkommene Freiheit zu genießen. Ich wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es in manchen Familien durchaus üblich war, eines der Mitglieder zum Sündenbock zu stempeln, doch soweit ich es gesehen hatte, war hier nicht Hugh in dieser Rolle, sondern Abigail. Wovor hatte sie Angst?
* * *
Zu meiner Überraschung schlief ich gut. Ein Bediensteter weckte mich um sieben, wie ich es gewünscht hatte. Draußen schien der Schönwetterzauber vorerst vorüber zu sein; der Himmel war wolkenverhangen, die Luft schwül und stickig. Ich legte erneut die Sergeantenrobe an. Ich trug noch immer Emmas Kreuz um den Hals und nahm mir vor, es Hugh zu überlassen. Da fiel mir ein, dass Avery erzählt hatte, der Junge habe schon dieses grässliche Herzkreuz um den Hals hängen.
Ein Klopfen an der Tür. Es war Dyrick. Auch er trug seine Amtsrobe und hatte sein kupferfarbenes Haar mit Wasser gebändigt.
»Fulstowe sagt, wir bekommen noch vor dem Abend ein Gewitter. Vielleicht solltet Ihr den Ritt durch die Wälder verschieben.«
»Nein«, entgegnete ich knapp. »Ich reite heute.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wie Ihr wünscht. Ich kam lediglich, Euch mitzuteilen, dass Mistress Hobbey heute wieder wohlauf ist und bereit, ihre Aussage zu machen. Es sei denn, Ihr wäret nun, da Ihr Hugh gesprochen habt, zu dem Entschluss gelangt, den Unsinn zu beenden.«
»Nein«, antwortete ich. »Könnt Ihr Fulstowe bitten, er möge Barak holen?« Ich lächelte ihm zu. Dyrick knurrte unwirsch und ging davon.
* * *
Wir versammelten uns erneut in Hobbeys Studierzimmer. Abigail war bereits zugegen, saß unter dem Bildnis der Äbtissin von Wherewell. Sie hatte heute wieder auf ihr Äußeres geachtet, sich das Haar frisiert und das Gesicht gepudert. Lamkin schlief auf einer kleinen Decke auf ihrem Schoß.
»Ich hoffe, es geht Euch heute besser, Mistress Hobbey«, begann ich.
»Ein wenig schon.« Sie spähte nervös zu Barak und Feaveryear hinüber, die Papier und Feder bereithielten. »Dann wollen wir beginnen«, sagte ich. »Ich frage mich, Madam, was Euch durch den Kopf ging, als Euer Mann den Wunsch äußerte, die Vormundschaft für Hugh und Emma zu erstehen?«
Sie blickte mir in die Augen. »Ich war froh darüber, zumal ich keine Kinder
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