Der Pfeil der Rache
Zeit in der Falle saßen. Denn kaum, dass sie den Tausch vollzogen hatten, gab es kein Zurück mehr. Wenn man ihnen auf die Schliche käme, landeten sie allesamt im Kerker.«
»Doch warum sollte Emma die Maskerade auch jetzt noch aufrechterhalten? Herrjesus, er – nein sie – will sogar zu den Soldaten!«
»Vielleicht weiß sie mittlerweile schon nicht mehr, wer oder was sie ist«, versetzte ich ärgerlich.
»Hört zu, ich weiß, es klingt plausibel, aber Ihr solltet Euch wirklich sicher sein –«
Ich sagte traurig: »Vorhin, als wir kamen, habe ich Hugh zum ersten Mal richtig angesehen, ihm geradewegs ins narbige Gesicht geblickt. Da wusste ich, dass er ohne weiteres ein Mädchen sein könnte.«
Barak wandte sich mir zu. »Hat Hugh – Emma – Abigail getötet?«
Er sprach zu laut. Die schlanke, geschmeidige Gestalt auf dem Übungsplatz war eben im Begriff, einen weiteren Pfeil abzuschießen. Er – beziehungsweise sie – senkte den Bogen und wandte sich zu uns um. Wir standen eine Weile reglos da, alle drei, wie in einem lebenden Bild. Dann, in Sekundenschnelle, hatte der vorgebliche Hugh einen Pfeil eingelegt, die Sehne gespannt und zielte auf meine Brust. Wir konnten nichts dagegen tun. Ehe wir ein paar Schritte zurückgelegt hätten, hätte Emma Curteys den Pfeil abgeschossen, einen zweiten eingelegt und uns beide getötet.
Ich riss die Arme in die Höhe, als könne ich die stählerne Pfeilspitze auf diese Weise abwehren. »Nicht!«, rief ich aus. »Dadurch ist nichts gewonnen!«
Auf die Entfernung hin konnte ich ihr Gesicht nur erahnen; es wurde von der Hutkrempe überschattet, die wohl auch zu Emmas Listen gehörte, wie jene Geste, die sie sich mit den Jahren angewöhnt hatte: Sie pflegte die Narben mit der Hand abzuschirmen und sich so vor allzu direkten Blicken zu schützen. Als ich die leichte Bewegung des Bogens gewahrte, wich ich mit einem Aufschrei zurück, doch dann bemerkte ich, dass er zitterte, leicht von einer Seite zur anderen schwankte in ihrer Hand, obschon sie noch immer auf mich zielte.
»Lauft!«, rief Barak.
Ich packte ihn am Arm. »Nein!«, rief ich Emma zu, »tut es nicht! Ich bin Euer Freund!«, fügte ich beschwichtigend hinzu. »Habt Ihr das nicht gemerkt? Ich kann Euch helfen!«
Immer noch stand sie mit dem zitternden Bogen da. Das Ganze dauerte nicht länger als etwa zehn Sekunden, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Da gewahrte ich im Augenwinkel eine Gestalt, einen dunklen, massiven Schatten, der auf die Bogenschützin zurannte.
»Hugh!«, rief David aus – er nannte sie noch immer Hugh –, »halt ein! Es hilft nicht! Sie wissen es, es ist vorbei! Leg den Bogen fort!«
Emma fuhr herum und legte auf David an. Der Pfeil traf ihn in die Seite, er geriet ins Taumeln, stürzte ins Gras, stöhnte noch einmal auf und blieb dann still liegen. Da erschien Fulstowe in der Tür, vermutlich aufgrund der Schreie. David hatte gelogen, er war also doch im Haus gewesen. Er eilte die Stufen herunter. Lautes Geschnatter seitens der Dienerschaft folgte Fulstowe. Emma griff sich erneut einen Pfeil, legte ihn ein und zielte damit auf den Steward. Fulstowe hielt augenblicklich inne. Eine der Mägde schrie auf. Ich dachte, Emma werde Fulstowe töten, doch stattdessen wich sie Schritt für Schritt zurück, auf das Tor zu, wobei sie ihn weiter im Visier behielt. Nur einmal warf sie einen Blick auf die Stelle, wo David reglos im Gras lag. Die ganze Zeit hatte sie kein einziges Wort gesprochen.
Sie trat rückwärts durch das Tor, machte kehrt und rannte davon. Fulstowe und einige Diener eilten zu David hinüber. »Mordio!«, schrie einer.
kapitel zweiundvierzig
D avid war nicht tot. Ich vernahm ein schwaches, verzweifeltes Stöhnen. Fulstowe beugte sich über ihn, Barak und ich eilten hinzu. Blut quoll aus der Wunde in Davids Seite, aus welcher hässlich der Pfeilschaft ragte.
»Helft mir«, wimmerte er.
»Still, Junge«, sagte Barak sanft.
Der Steward rief den Dienstboten zu, die herbeigelaufen waren: »Geschwind! Einer von euch hole den Wundarzt aus Cosham! Und reißt ein paar Tücher in Fetzen!«
Ich rief: »Nehmt mein Pferd! Es steht gesattelt und gezäumt vor der hinteren Pforte!«
Fulstowe blickte mich verstört an. »Was ist denn geschehen in drei Teufels Namen? Warum seid Ihr hier?«
»Hugh hat auf David gezielt. Er hätte wohl auch uns umgebracht, wäre David nicht dazwischengegangen.«
»Was?«
»Lasst mich!«, tönte es schrill und verzweifelt jenseits des
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