Der Pfeil der Rache
in der Klemme. Nur eine Person war eingeweiht, nämlich Fulstowe.« Hobbey wandte sich dem Steward zu. »Er versteht sich ausgezeichnet aufs Organisieren, aufs Erspüren von Schwierigkeiten. Und Emma – sie zog sich in ihr Schneckenhaus zurück, mitsamt ihren Büchern und dem Bogenschießen.«
»Das ihr Michael beigebracht hatte.«
»So ist es. Und die anderen Hauslehrer. Wir behielten keinen allzu lang. Zu Beginn war es einfach, sie zu täuschen, aber je älter Emma wurde, desto schwieriger wurde es. Wir – wir hatten mit der Zeit regelrecht Angst vor ihr. Sie ließ uns niemals wissen, was in ihr vorging, und sie ahmte ihren Bruder so trefflich nach – dass ich sie zuweilen tagelang für Hugh hielt, und irgendwie war ich darüber erleichtert. Abigail passierte das nie – wenn ich Emma in ihrem Beisein versehentlich als Hugh anredete, erhob sie ein entsetzliches Gezeter. Dennoch hatte auch sie panische Angst vor Entdeckung. Und als Ihr hierherkamt, blieben nur noch drei Jahre, bis Emma vor Gericht ihren Besitz einfordern konnte. Ich weiß nicht, was danach geschehen wäre.« Ich ebenso wenig, dachte ich. Emma war unergründlich geworden.
Hobbey fuhr fort: »Im Laufe der Jahre zehrte die Täuschung an unser aller Kräfte. Abigail traf es besonders hart. Sie riet Emma, wie das allmonatliche Unwohlsein bewältigt werden konnte, schnitt ihr ein Tuch zurecht für die Brüste. Emma schien sie dafür zu hassen, und – und irgendwie gab die ganze Familie am Ende Abigail die Schuld, weil es ihre Idee gewesen war. Vor allem David. Es war ungerecht, denn dies alles war doch nur geschehen, damit ich meine Gläubiger bezahlen konnte. Doch selbst ich schob irgendwann die Schuld auf meine Frau. Die Ärmste.«
»Und dann kehrte Michael Calfhill zurück.«
Hobbey zuckte zusammen. »Er bemerkte sofort, dass Hugh in Wirklichkeit Emma war. Die Male in ihrem Gesicht genügten. Er drohte damit, uns bloßzustellen. Doch Emma wollte das nicht.« Er blickte Dyrick an. »Und Ihr hattet etwas über Michael herausgefunden, nicht wahr, als er Emma ermutigte, David abzuweisen.«
»Ihr hattet doch selbst diesen Verdacht«, entgegnete Dyrick in scharfem Ton, »und habt mich gebeten, ihm nachzustellen.«
Hobbey schlug die Augen nieder und sagte: »In London erzählte man mir, Michael stehe im Ruf, eine – nun ja – unziemliche Verbindung mit einem Kommilitonen in Cambridge zu pflegen. Und Vincent fand heraus, dass es nicht die einzige gewesen war.«
»Als er in diesem Jahr zu Euch kam, habt Ihr ihm also Eurerseits gedroht, ihn bloßzustellen?
»Ja. Ich bat Vincent, ihn aufzusuchen. Gott vergebe mir.«
»Auf Sodomie steht der Galgen«, versetzte Dyrick barsch. »Ich drohte Calfhill, es in die Welt hinauszuschreien, was er für einer war, sollte er Klage erheben beim Vormundschaftsgericht. Konnte ich denn ahnen, dass er sich gleich aufhängen würde?«
»Dann war es also doch ein Freitod«, sagte ich.
»Was habt Ihr denn geglaubt?«, platzte Dyrick heraus.
»Ihr habt ihm gedroht.« Ich schaute Dyrick verächtlich an. »Ihr habt diesen jungen Mann, dessen Sorge immer nur dem Wohle der beiden Kinder galt, in den Tod getrieben.«
»Woher sollte ich wissen, dass er ein solcher Schwächling war?«, widersprach trotzig Dyrick.
»Ein dreckiger Hundsfott seid Ihr!«, stieß Barak aus.
Ich starrte Dyrick an. »Jemand hat mich in London überfallen und mir geraten, die Finger von dem Fall zu lassen. Wart Ihr das?«
Dyrick und Hobbey starrten einander an. »Das hat nichts mit uns zu tun«, sagte Dyrick schließlich.
Ich runzelte nachdenklich die Stirn. »Michael nahm also seinen ganzen Mut zusammen und erhob Klage am Court of Wards. Doch dann bekam er es mit der Angst zu tun vor dem, was Ihr gegen ihn vorbringen könntet, und nahm sich das Leben. Wie sehr muss er mit seinem Gewissen gerungen haben! Vielleicht hegte er die Hoffnung, seine Mutter werde den Fall aufgreifen, ihn vielleicht der Königin vortragen, die stets freundlich zu ihr gewesen war.«
»Gewissen«, sagte Hobbey mit unendlicher Trauer. »Ich hatte auch einmal eines. Mein Ehrgeiz hat ihm den Garaus gemacht. Und danach – man weiß tief im Herzen, dass man unrecht getan hat, aber – man verdrängt es. Anders geht es nicht. Man spielt seine Rolle weiter. Michaels Tod jedoch nagte an meinem Gewissen.« Tränen liefen ihm über die schmalen grauen Wangen. »Und die arme Abigail. Oh, hätten wir doch nur gesehen, wohin uns dieser böse Rollentausch führen würde.
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