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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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seine Schwester.«
    »Was –«
    »Sie hatten beide die Pocken. Aber ich glaube, dass damals Hugh starb, und nicht Emma. Hobbey war in finanziellen Nöten. Er hielt sich die Gläubiger vom Hals, indem er sich dazu verpflichtete, sie über einen längeren Zeitraum zu bezahlen, und indem er den Gewinn vom Waldland der Curteys-Kinder abschöpfte. Nur aus diesem Grund, meine ich, hatte er damals die Vormundschaft übernommen.«
    »Aber jener dort ist doch ein Bursche –«
    »Lass mich weitererzählen.« Ich fuhr fort, mit stiller Eindringlichkeit: »Doch dann ist Hugh gestorben. Denke daran, wie eine Vormundschaft funktioniert: Ein Knabe muss einundzwanzig sein, um vor Gericht die Übergabe seines Eigentums zu erwirken, ein Mädchen jedoch kann schon mit vierzehn erben. Emma hätte naturgemäß Hughs Anteil am Waldland geerbt. Hobbey hatte wohl gedacht, er hätte noch mindestens neun Jahre die Kontrolle darüber, doch jetzt drohte der Verlust bereits in einem Jahr. Bis dahin hätte er seine Schulden längst nicht beglichen. Also gab man kurz entschlossen Emma für Hugh aus.«
    »Sie konnten doch nicht –«
    »Sie konnten. Eine große Hilfe war, dass die Kinder altersmäßig so nah beieinander waren und sich sehr ähnlich sahen, obwohl niemand, der sie beide kannte, sich hätte täuschen lassen. Also entließ man unverzüglich Michael Calfhill und reiste sofort aus London ab.«
    »Aber Michael erzählte doch, er sei bei Emmas Begräbnis gewesen.«
    »Im Sarg lag Hugh.«
    »Herrjesus.«
    »Michael hatte sich Hugh niemals in unziemlicher Absicht genähert. Und als er voriges Frühjahr zu Besuch kam, erkannte er Emma.«
    Barak neigte sich vor und beobachtete die Gestalt auf dem Rasen genau, als ein weiterer Pfeil von der Sehne schnellte. Wie der letzte, traf auch dieser mitten ins Schwarze.
    »Ihr täuscht Euch, das ist kein Mädchen. Und was zum Teufel hätte sie von dem Handel?«
    »Beispielsweise, dass sie David nicht zu heiraten brauchte. Vermutlich hatte sie von Michael erfahren, dass sie vor das Vormundschaftsgericht treten und sagen könne, eine Ehe mit David wäre eine Herabsetzung für sie, da er an der Fallsucht leide. Doch nachdem Michael fort war und ihr Schicksal in den Händen der Familie Hobbey lag, hätte sie mit dreizehn Jahren auf eigenen Beinen stehen müssen. Und das Rollenspiel verlieh ihr vermutlich eine gewisse Macht über die Familie. Deren Schicksal lag fortan in Emmas Händen. Emma erklärte sich nur deshalb bereit, Hughs Rolle zu übernehmen, weil es bedeutete, dass auf diese Weise eine Heirat gar nicht erst in Frage käme. Weiter dachte sie zum damaligen Zeitpunkt vermutlich nicht«, fügte ich traurig hinzu. »Doch kaum war der Tausch vollzogen, saßen sie allesamt in der Falle.«
    Barak beschattete mit der Hand die Augen, schaute wieder nach Hugh. »Das ist doch kein Mädchen, nie und nimmer.«
    »Sprich leise. Nein, man könnte es nicht glauben. Doch ein Mädchen kann sich im Bogenschießen üben und ebenso belesen sein wie ein Mann. Darum kam mir wohl auch die Begegnung mit Lady Elizabeth in den Sinn. Auch sie versteht es, den Bogen zu spannen. Und wenn ein Mädchen einmal gelernt hat, sich wie ein Knabe zu bewegen, sich entsprechend zu kleiden und zu gebaren, und auch schießen kann wie ein Junge, dann lässt sich die Täuschung vor Fremden jahrelang aufrechterhalten. Ein weiterer Vorteil ist ihre Größe.«
    »Und die Brüste? Der Bart – Hugh lässt sich doch angeblich regelmäßig den Bart scheren.«
    »Brüste lassen sich hinter gesteppten Wämsern verbergen. Und auch wenn man uns geflissentlich weiszumachen suchte, dass Hugh sich regelmäßig den Bart scheren ließ, habe ich niemals Stoppeln auf seinen Wangen gesehen. Du etwa?«
    »Aber er hatte doch Schnitte von der Schur –«
    »Er beziehungsweise sie hatte sich die Wangen verkratzt. Nichts leichter als das.«
    »Und der Adamsapfel –«
    »Bei manchen Burschen ragt er spitz aus dem Hals, wie bei Feaveryear. Bei anderen ist er kaum zu bemerken. Und ihre Narben hinderten einen jeden daran, ihren Hals in Augenschein zu nehmen.«
    Barak starrte noch eindringlicher. »Aber dergleichen jahrelang aufrechtzuerhalten –«
    »O ja. Es war für alle Beteiligten gewiss eine große Belastung. Abigail und David hielten dem Druck nicht stand. Fulstowe weihten sie natürlich ein – seine Hilfe war unentbehrlich. Und dies verlieh auch ihm Macht über die Familie. Deren Mitglieder dürften recht bald eingesehen haben, dass sie für alle

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