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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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sie kühl.
    »Leacon hat recht«, antwortete ich. »Ein jeder sollte Angst vor dem Tod haben.«
    Sie lachte rau. »Lieber kämpfend sterben als am Galgen enden.« Ihre Stimme klang mit einem Mal vernehmlich höher. Noch etwas, das sie in all den Jahren hatte unter Kontrolle halten müssen.
    Ich sagte: »David ist nicht tot, wenn auch schwer verletzt.«
    Sie senkte den Kopf und sagte leise: »Ich wollte ihn nicht umbringen. Ich hatte vor, Euch und Barak zu töten, aber ich konnte es nicht.«
    »Das weiß ich.«
    Sie antwortete nicht, saß nur da und ließ den Kopf hängen. Ich blickte wieder nach vorne. Die vier Galeeren waren schon ganz nah, und ich sah auf den Seiten in reichem Gold das französische Wappen prangen. Sie bewegten sich im Kreis, noch immer im rechten Winkel zueinander, und brachten dabei die Kanonen in Stellung, um auf die
Mary Rose
zu feuern. Ich sagte, so ruhig ich es vermochte angesichts meines pochenden Herzens: »Es geht los.«
    »Und wenn schon«, antwortete Emma, ohne aufzublicken.
    Ich sagte: »Falls wir lebend davonkommen, überlässt Hobbey mir die Vormundschaft für Euch. Dann könnt Ihr selbst entscheiden, was Ihr sein wollt.«
    Sie blickte auf, ihre Miene war wieder verhärtet. »Wenn wir überleben, suche ich mir eine andere Truppe. Und ziehe gegen die Schotten.«
    »Ich habe mein Leben riskiert bei dem Versuch, Euch zu retten.«
    »Warum?«, fragte sie. »Warum habt Ihr das getan. Ich wollte nie –«
    »Um Euch die Möglichkeit zu geben, eine Wahl zu treffen –«
    Ein Donnerschlag ließ mich verstummen. Dunkelgrauer Rauch drang aus dem Bug der Galeere, die vor uns lag. Es folgte eine merkwürdige Stille, die vielleicht zwanzig Sekunden währte, dann sagte einer der Matrosen: »Das war knapp.«
    Gleich darauf folgte von unten das Kommando: »Feuer!«, dem der lauteste Krach folgte, den ich jemals gehört hatte, da sämtliche Kanonen steuerbords auf die Galeeren feuerten, eine nach der anderen, mit gewaltigem Donnerhall. Ich spürte, wie mir die Wucht des Rückschlags die Beine heraufschoss, mir die Knochen durchschüttelte, und sich mir ein entsetzlicher Druck auf die Ohren legte. Die Planken bebten und knarzten. Ich blickte zu Emma; sie schaute nach oben, ihre Augen leuchteten vor Erregung.
    Als der Rauch sich lichtete, sah ich, dass die Galeeren keinen Schaden genommen hatten. Die
Mary Rose
wendete schnell und steil nach Backbord. Ich hörte das Schlagen der Segel. Dann wehte mich ein jäher Windstoß an.
    »Das ist zu schnell«, sagte einer der Matrosen.
    Das Schiff legte sich auf die Seite, nach Steuerbord. Ich dachte, es würde sich, wie nach dem vorausgegangenen Manöver, wieder aufrichten, aber die Schlagseite wurde immer stärker. Die Soldaten auf der Backbordseite, die höher stieg, je tiefer die Steuerbordseite sich nach unten neigte, suchten Halt an den Stückpforten. Die Gewehre entglitten ihnen, schlitterten über das Deck. Durch die Öffnung sah ich, wie ein Matrose von der Marsstenge in die Takelage fiel und Musketen über die Reling in die See stürzten. Lärm und Geschrei erhoben sich unter dem Netz, das sich über das Wetterdeck spannte, als die Männer mitsamt ihrer Ausrüstung ausrutschten und hinschlugen. All dies dauerte nur Sekunden, aber die Zeit dehnte sich in meiner Erinnerung an diese Schrecken ins Unermessliche. Sämtliche Soldaten auf unserem Deck, mitsamt ihren Waffen, taumelten und fielen jetzt nach Steuerbord. Auch die lange Kanone an Backbord rutschte langsam von ihrer Lafette.
    »Nichts wie weg!«, rief der Matrose neben uns seinem Gesellen zu. Auf allen vieren krochen sie eilig auf die Laufbrücke hinaus, oberhalb des Netzes, und klammerten sich fest, da die extreme Schräglage des Schiffes mittlerweile ein aufrechtes Gehen unmöglich machte. Die Männer unter dem Netz schrien, und ich sah Hände durch die Maschen greifen.
    »Kommt!«, rief ich Emma zu. Ich biss die Zähne zusammen gegen den Schmerz in den Schultern und machte mich daran, hinter den Matrosen herzukriechen. Eine Sekunde lang hegte ich die Befürchtung, Emma könne zurückbleiben, doch dann hörte ich ihr Scharren hinter mir. Wir erreichten die Laufbrücke. Mehrere Männer hackten von unten wie wild auf das stabile Netzwerk ein. Eine Hand langte herauf, packte meinen Arm, und eine Stimme rief in höchster Not: »Helft uns!« Da ergoss sich Wasser über uns, seine Kälte war ein jäher Schreck, und riss mich fort. In den Sekundenbruchteilen, da ich auf den hereinbrechenden Wogen

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