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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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ab. Dann schaute ich hinter mich und riss die Augen auf.
    Von hier aus, wenn ich durch die offenen Luken am hinteren Ende des Heckkastells blickte, sah ich nicht nur unsere eigenen Schiffe und in der Ferne die französische Flotte, die sich seit voriger Nacht offenbar nicht von der Stelle geregt hatte, sondern zudem, nur eine halbe Meile vor uns, die französischen Galeeren. Vier der riesigen, schnittigen Schiffe hielten geradewegs auf uns zu. Sie bildeten gleichsam ein Vierspeichenrad, das sich langsam auf dem glitzernden Wasser drehte. In dieser Formation konnte eine nach der anderen die Kanonen im Bug gegen uns abfeuern. Ich sah die Ruder aufblitzen, die dunklen Umrisse der zwei Kanonen. Einige unserer Galeassen, erbärmlich klein im Vergleich, hielten auf sie zu. Während ich die Szene beobachtete, stieg eine Rauchwolke auf. Eine Galeere hatte auf eines unserer Schiffe gefeuert. Ein Donnerhall dröhnte über das Wasser.
    Ich wandte mich um und blickte auf die Reihen der Bogenschützen. Ich sah Carswell und Llewellyn an zwei nebeneinanderliegenden Luken, andere vertraute Gesichter, allesamt schweißglänzend.
    Es war schwer, Emma unter all den Bogenschützen auszumachen, doch schließlich entdeckte ich sie. Sie hatte Helm und Steppwams angelegt und stand weiter oben, unweit des Achterstevens. Sie trug noch immer den schönen schlanken Bogen mit den Hornspitzen, den ich von Hoyland her kannte. Als sie mich sah, lief sie rot an vor Wut und brachte instinktiv die Hand an den Hals. Leacon schaute zu ihr hinüber. Ihre Blicke kreuzten sich. Emma wirkte kurz unschlüssig, fasste sich dann aber.
    Sir Franklin hatte uns bemerkt. Er schritt zwischen den Reihen der Männer hindurch, die Hand am Schwertknauf, die Stirn gerunzelt. Er wunderte sich vermutlich, mich schon wieder zu sehen, diesmal auf der
Mary Rose
. Ich ging mit Leacon auf ihn zu. Ein starker Wind kam auf und zauste mir das Haar. Das Schiff neigte sich etwas zur Seite, und mehrere der Bogen- und Gewehrschützen gerieten ins Taumeln. Leacon erreichte Sir Franklin und raunte ihm etwas ins Ohr. Unterdessen wurden unten auf dem Hauptdeck Pfiffe und Rufe laut.
    Sir Franklin zuckte zusammen, starrte auf Leacon, dann auf mich. Er lachte. »Was?«
    »Es ist leicht festzustellen, Sir«, sagte Leacon. Sir Franklin starrte zu Emma hinüber und nickte. Er und Leacon gingen auf sie zu. Ich folgte ihnen.
    »Ist es wahr«, fragte Leacon sie barsch, »was Master Shardlake mir soeben erzählt hat?«
    Emma zögerte und antwortete dann ruhig: »Ich verstehe Euch nicht, Sir.«
    Zweifel huschten über Leacons Gesicht. In ihrer Uniform war Emma vollkommen überzeugend. Er sagte leise: »Wenn nötig, finde ich die Wahrheit vor Ort und Stelle heraus. Vor aller Augen.«
    »Ihr werdet nichts finden, Herr Hauptmann.« Ich musste ihren Mut bewundern.
    Leacon holte tief Luft und zog ihr dann den eng sitzenden Helm vom Kopf. Er starrte auf den kurzen braunen Flaum, musterte erneut ihr Gesicht und sagte: »Leg das Wams ab, Soldat.«
    Ein Raunen lief durch die Reihen. Die Männer standen zwar noch in Reih und Glied, doch die meisten äugten zu uns herüber. Langsam legte Emma den Pfeilköcher ab, dann ihr Wams und ließ alles zu Boden fallen. Da stand sie nun, und der Wind, der aufgekommen war, bauschte ihr weißes Hemd. Leacon fasste mit beiden Händen in den Kragen und riss das Hemd auf. Das Lederbeutelchen mit dem Herzkreuz baumelte über einer weißen Leinenbinde, die ihre Brust fest umschloss; doch darüber wölbten sich leicht die Brustansätze. Ich hegte die Befürchtung, Leacon werde sie zwingen, den Busen zu entblößen, aber er hatte genug gesehen. Durch die Reihen der Männer lief ein Raunen.
    »Was ist das? Ein Wundverband? Ist er verletzt?«
    »Verflucht, das ist ja ein Weib.«
    »Ruhig!«, rief Sir Franklin. Leacon nahm Emma leise ins Verhör: »Warum hast du das getan? Warum hast du meine Truppe zum Gespött gemacht?«
    Emma verschränkte die Arme. »Ich wollte kämpfen, Sir. Ihr habt gesehen, dass ich ein guter Schütze bin.«
    Sir Franklin trat auf sie zu. Er hob die Hand, und ich fürchtete schon, er werde sie ohrfeigen, stattdessen wandte er sich an Leacon und fragte mit vor Wut bebender Stimme: »Kann sie von Bord gebracht werden?«
    »Vielleicht. Sobald ein Boot herüberkommt.«
    »Findet eines. Bis dahin schafft sie von Deck. Unter das Heckkastell. Ganz gleich, wohin.« Er wandte sich nach den glotzenden Soldaten um. Emma starrte mich an, die Arme über den Brüsten

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