Der Piratenfuerst
lang hatten sie gekämpft. Ihre schon engbegrenzte Welt wurde noch bedrängter durch die weißbeschäumten, aus endloser Weite donnernd anrollenden Wogen; ihre Sinne wurden stumpf im ständigen Geheul des Windes. Wie Bolitho selbst kaum noch Atem hatte, schien auch dem Schiff der Atem ausgegangen zu sein. Jetzt stand es unter fast schlaffen Besansegeln beinahe ohne Fahrt über seinem Spiegelbild. Dampfend unter dem wieder wolkenlosen Himmel, lag das Deck voller Fetzen, Enden, Späne, Splitter. An vielen Stellen war die Farbe abgeblättert, und das Holz trat nackt zutage, als wären die Zimmerleute eben erst fertiggeworden. Überall arbeiteten Matrosen mit Marlspiekern und Segelnadeln, Hämmern und Taljen, bemüht, ihr Schiff wieder in Ordnung zu bringen, das sie so treulich durch dieses Chaos getragen hatte. Selbst Mudge hatte erklärt, das sei so ziemlich der schlimmste Sturm gewesen, den er erlebt habe.
Eben kam der Alte über das Deck; auch aus seinem Mantel stieg Dampf auf, Wangen und Kinn verschwanden fast unter einem Wald von weißen Stoppeln. »Nach meiner Schätzung sind wir ein ganzes Stück über die Benua-Gruppe hinaus. Wenn wir das Mittagsbesteck aufgenommen haben, wird mir wohler sein.« Er blinzelte zu dem schlaff hängenden Wimpel hinauf, der im Sturm fast die Hälfte seiner Länge eingebüßt hatte.
»Aber der Wind ist ausgeschossen, ganz wie ich mir das gedacht habe. Ich schlage vor, wir halten Ihren neuen Kurs, Nordnordwest, bis wir unsere Position einigermaßen festgestellt haben.« Er schnaubte sich heftig die Nase. »Und ich erlaube mir zu sagen, Sir, daß Ihre Schiffsführung erstklassig war.« Er blies die Backen auf. »Ein paarmal dachte ich tatsächlich, wir wären verloren.«
Bolitho blickte zur Seite. »Danke sehr.« Er dachte an die zwei Männer, die weniger Glück gehabt hatten. Der eine war in der zweiten Nacht über Bord gegangen. Weggewaschen, ohne daß jemand ihn gesehen oder gehört hatte. Der andere war vom Backbordbalken abgerutscht, als er eine durchgeriebene Zurring am Ankerstock auswechselte. Eine unvermutete einzelne Woge hatte ihn fast beiläufig von seinem Sitz gefegt, und Bolitho hatte noch eine Zeitlang gedacht, er würde gerettet werden. Eifrige Hände hatten nach ihm gegriffen, aber eine zweite Welle hatte ihn erfaßt und ihn nicht etwa weggeschwemmt, sondern hoch in die Luft geworfen wie einen Hampelmann, und ihn dann mit wilder Wut gegen den schweren eisernen Anker geschleudert. Bootsmannsmaat Roskilly schwor, er habe die Rippen des Mannes krachen und splittern gehört, ehe er schreiend in dem schäumend am Schiffsrumpf entlangwirbelnden Wasser verschwand. Und dann noch der Mann, der vom Mast gefallen war. Somit hatte der Sturm drei Tote gekostet, und dazu sieben Verletzte. Knochenbrüche, von der stoßenden, bockenden, klatschnassen Leinwand aufgerissene Finger, Hautentzündungen durch Salz und Wind; Wunden an den Handflächen von den Leinen, die durch die umklammernden Fäuste gerutscht waren – so lauteten die Eintragungen im Krankenjournal des Schiffsarztes.
Herrick kam nach achtern und sagte: »Ich lasse gerade einen neuen Klüver anschlagen, Sir. Der andere ist nur noch als Flickzeug zu gebrauchen.« Noddall reichte ihm einen dampfenden Becher, und er trank genüßlich. »Der Himmel helfe dem armen Seemann!«
Bolitho blickte ihn von der Seite an. »Sie wollen ja gar keinen anderen Beruf!«
Herrick schnitt eine Grimasse. »Hier und da hatte ich schon mal meine Zweifel darüber.«
Davy, der die Wache hatte, trat zu ihnen an die Reling. »Ob wir wohl bald Land in Sicht kriegen, Sir?« fragte er.
Davy sah älter aus, weniger selbstgefällig als beim Dienstantritt auf der Undine. Im Sturm hatte er sich gut bewährt; vielleicht dachte er immer noch, wirkliche Gefahr könne nur aus der Mündung einer Kanone kommen.
Bolitho überlegte. »Das hängt davon ab, wie genau wir unsere Position fixieren können. Wenn wir die Abdrift berücksichtigen und die veränderte Windrichtung, könnten wir, glaube ich, vor Einbruch der Dunkelheit die Inseln in Sicht haben.«
Er lächelte, und das tat ihm so weh, daß ihm erst richtig klar wurde, wie anstrengend die letzten Tage gewesen waren.
Mißmutig sagte Herrick: »Der verdammte Froschfresser wird uns schön auslachen. Sitzt gemütlich in seinem Hafen unter den Kanonen dieses verdammten Piraten!«
Bolitho blickte ihn nachdenklich an. Dieser Gedanke hatte ihn selbst während der ganzen Zeit kaum losgelassen, obwohl er weiß
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