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Der Piratenfuerst

Der Piratenfuerst

Titel: Der Piratenfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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Häusern von Whitehall und am St. James' Square, in den geschäftigen Londoner Kaffeehäusern, wo aus bloßen Gerüchten in wenigen Minuten Tatsachen wurden? Würden sie auch nur einen Gedanken an die Männer verwenden, die für sie und für den König im Kampf ihr Leben gelassen hatten?
    Irgendwo im Dunkel stieß jemand ein leises Hurra aus – vermutlich war der Rum eingetroffen.
    Bolitho ging weiter nach achtern; er hatte es kaum gemerkt, daß er stehengeblieben war, weil sich seine Verbitterung in Zorn verwandelt hatte. Wie geräumig das Deck wirkte ohne die Boote, die sonst übereinander auf ihren Gestellen lagen! Jetzt hingen sie alle achteraus im Schlepp und warteten auf den Moment, da die Leinen gekappt werden würden.
    Das war immer ein böser Moment, dachte er. Boote waren zwar zerbrechlich und bedeuteten in der Schlacht immer eine zusätzliche Gefahr, weil ihre Splitter wie Dolche umherflogen. Trotzdem waren die meisten Matrosen froh, daß die Boote an Deck waren: als letzte Hoffnung, wenn es ganz schlimm wurde. Schnaufend kam Keen zurück. »Alles erledigt, Sir. Mr. Triphook hat sich allerdings ein bißchen aufgeregt über die Extraration.« Seine Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit.
    »Möchten Sie auch ein Glas, Sir?«
    Rum war Bolitho zuwider. Aber er sah, daß die Matrosen und Seesoldaten ihn beobachteten. »Aber gewiß, Mr. Keen«, sagte er deshalb und hob das Glas zum Mund.
    »Auf uns, Jungs!«
    Er dachte an Herrick und Puigserver auf ihrer schwimmenden Bombe. Und auf dich, Thomas!
    Er trank aus und blickte zum Himmel: noch kein Lichtschimmer. Und auch kein Stern zu sehen. »Ich gehe nach unten«, sagte er und tippte dem Midshipman auf den Arm. »Sie bleiben hier beim Niedergang. Lassen Sie mich rufen, wenn nötig.«
    Bolitho stieg in die Finsternis hinab. Hier waren seine Bewegungen nicht so sicher. Jeder hätte ihn rufen können, wenn er gebraucht wurde, aber er wollte Keen einen unnötigen Besuch im Schiffslazarett ersparen. Das konnte noch früh genug kommen. Er dachte an Keens große, pulsierende Wunde, an Alldays sanfte Hände, mit denen er den blutigen Splitter herausgeholt hatte.
    Noch eine Leiter. Er blieb stehen. Um ihn herum stöhnten und knarrten die Schiffsplanken. Auf diesem Deck roch es anders: nach Teer und Werg, nach dicht beieinander lebenden Menschen, obwohl das Logis jetzt verlassen war. Und vom Vorschiff her kam der Gestank des mächtigen Ankergeschirrs, von Bilgewasser und feuchter Kleidung. So roch es eben in einem lebenden, arbeitenden Schiff.
    Schwacher Laternenschein wies ihm den Weg zu Whitmarshs primitivem Arbeitsraum: aneinandergelaschte Seekisten, auf denen die Verwundeten entweder gerettet wurden oder verzweifelt starben; Lederriemen zum Drauf beißen, Verbandszeug, um die Schmerzen zu lindern. Der riesige Schatten des Doktors schwankte auf dem schlingernden Deck. Bolitho beobachtete ihn aufmerksam. Ein starker Brandygeruch hing in der feuchtheißen Luft. Brandy zum Betäuben – oder um den Arzt auf seine Privathölle vorzubereiten?
    »Alles klar, Mr. Whitmarsh?«
    »Aye, Sir.«
    Der Arzt schlurfte zu einer Seekiste und stemmte sich mit dem Knie dagegen. Er deutete mit einer Handbewegung auf seine Helfer, die stummen Sanitätsgasten, die das Opfer festhalten würden, bis die Arbeit getan war: brutal geworden durch ihre Tätigkeit, taub für die Schreie und jenseits allen Mitleids.
    »Wir alle warten darauf, was Sie uns schicken werden, Sir.«
    Bolitho blickte ihm kalt ins Gesicht. »Werden Sie es nie lernen?«
    Finster entgegnete der Arzt: »O doch, Sir, ich habe meine Lektion gut gelernt. Wenn ich einem Mann das Bein abgesägt oder Werg in seine leere Augenhöhle gestopft habe, mit nichts als Schnaps gegen die Schmerzen, dann bin ich Gott näher als die meisten Menschen.«
    »Wenn dem so ist, dann kommen Sie ihm bitte nicht noch näher!« Bolitho nickte den anderen zu und ging zur Leiter.
    »Vielleicht werde ich auch Sie hier begrüßen können, Sir!« rief der Arzt hinter ihm her. Bolitho antwortete nicht. Anscheinend brach der Wahnsinn bei Whitmarsh jetzt endgültig durch. Der schändliche Tod seines Bruders, der Suff und die Art, wie er sich sein Brot verdienen mußte, wirkten sich aus. Aber der Mann hatte auch eine andere Seite: er hatte von Mitleid mit den Verwundeten gesprochen, vom Dienst an den Unglücklichen – auf diese Seite seines Charakters mußte sich Bolitho verlassen.
    Wieder dachte er an Herrick und hoffte, daß er mit seinem Boot rechtzeitig

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