Der Piratenfuerst
wütend vorgeworfen: »Du läßt dich dauernd beiseite schieben, James! Ich kann mich ja in London überhaupt nicht mehr sehen lassen, wenn du ständig Demütigungen einsteckst! Margarets Mann wurde neulich geadelt, und er hat fünf Dienstjahre weniger als du!« So ging es weiter.
Als Bolitho sich jetzt nach Mudge umdrehte, überlegte er, was dieser und die anderen wohl von ihrem Kommandanten denken mochten. Daß er Offiziere und Mannschaft zu hart herannahm, ohne Sinn und Zweck? Daß er sie mit stupidem Geschützexerzieren schikanierte, während auf dem Spanier die Männer von der Freiwache herumlungerten, schliefen oder Wein tranken wie Passagiere? Aber unvermittelt sagte Mudge, als hätte er seine Gedanken gelesen: »Lassen Sie die Leute ruhig reden, Sir. Sie sind noch jung, aber Sie haben den richtigen Instinkt für das Notwendige – wenn Sie mir die Freiheit gestatten.« Er zupfte an seiner großen Nase. »Ich habe manchen Käpt'n mit langem Gesicht dastehen sehen, weil er nicht bereit war, wenn's darauf ankam.« Er lachte in sich hinein, daß die kleinen Augen in den Falten und Runzeln seines Gesichts fast verschwanden. »Und Sie wissen ja – wenn was schiefgeht, hat's keinen Zweck, die Fäuste zu schütteln und allen anderen die Schuld zu geben.« Damit zerrte er eine kohlrübengroße Uhr aus einer Innentasche. »Ich muß hinauf an Deck, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Mr. Herrick möchte, daß ich dabei bin, wenn die Bestecks verglichen werden.« Das schien ihn zu amüsieren. »Wie gesagt, Sir, Ihr Standpunkt ist ganz richtig. Es ist durchaus nicht nötig, daß die Mannschaft den Kapitän liebt, aber bei Gott, Sir, sie muß Vertrauen zu ihm haben.« Er stapfte aus der Kajüte, daß die Decksplanken unter seinem Schritt knarrten.
Bolitho setzte sich und strich sein offenes Hemd glatt. Mudge war wenigstens ein Lichtblick.
Allday steckte den Kopf durch die Tür. »Kann ich Ihnen jetzt den Steward schicken, Captain?« Er warf einen raschen Blick auf den Tisch. »Er wird Ihr Essen servieren wollen.«
»Na schön«, lächelte Bolitho. Es wä re dumm gewesen, sich über Kleinigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Aber das mit Mudge war wichtig. Er hatte vermutlich unter mehr Kapitänen gedient, als Bolitho in seinem ganzen Leben kennengelernt hatte.
Sie blickten sich beide um, denn Midshipman Keen stand in der Tür. Er war schon stark gebräunt und sah so gesund und kräftig aus wie ein alter Fahrensmann.
»Kompliment von Mr. Herrick, Sir, und der Ausguck hat ein Schiff auf Gegenkurs zum Spanier gesichtet. Könnte eine Brigg sein. Ziemlich klein.«
»Ich komme sofort an Deck«, sagte Bolitho und fuhr dann lächelnd fort: »Die Reise scheint Ihnen zu bekommen, Mr. Keen.«
Der junge Mann grinste verschmitzt. »Aye, Sir. Allerdings hat mein Vater nicht wegen meiner Gesundheit, sondern aus ganz anderen Gründen zur See geschickt, fürchte ich.«
Er verschwand eiligst, und Allday murmelte hinter ihm her: »Dieser junge Teufel! Hat bestimmt ein armes Mädchen in Schwierigkeiten gebracht – da möcht' ich wetten!«
Bolitho verzog keine Miene. »Es kann ja nicht jeder so tugendhaft sein wie Sie, Allday.«
Er trat an dem Wachtposten vor der Tür vorbei hinaus und stieg hinauf zum Achterdeck. Obgleich er darauf gefaßt war, fuhr ihn die Hitze an wie aus einem Brennofen. Der Teer in den Ritzen der Decksplanken klebte an seinen Schuhsohlen, Gesicht und Nacken brannten ihm, als er zur Wetterseite hinüberging und sein Schiff prüfend musterte. Die Undine lief gut unter ihrer sonnengebleichten, leichten Besegelung. In der mäßigen Brise krängte sie nur schwach. Spritzwasser stäubte hoch und netzte den Klüver, und hoch oben wehte der Wimpel waagrecht wie eine Peitschenschnur.
Mudge und Herrick waren in ein leises Gespräch vertieft. Ihre Sextanten glänzten wie Gold. Armitage und Penn, die beiden Midshipmen, verglichen ihre Notizen, in den jungen Gesichtern stand sorgenvolle Konzentration.
Soames an der Achterdeckreling wandte sich um, als Bolitho ihn fragte: »Dieses fremde Schiff – was halten Sie davon?« Soames schien sehr unter der Hitze zu leiden, das Haar klebte ihm in der Stirn, als käme er vom Schwimmen.
»Wird wohl irgendein Handelsschiff sein, Sir.« Es klang, als sei es ihm ziemlich gleichgültig. »Vielleicht wollen sie den Spanier nach der Position fragen.« Er verzog grimmig das Gesicht. »Was der schon davon weiß!«
Bolitho nahm ein Fernglas aus der Halterung und enterte ein Stück in die
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