Der Piratenfuerst
rascher Fahrt; und da die Nervion mehr Segel zu setzen begann, wollte Triarte vermutlich die Verfolgung aufnehmen.
»Innerhalb einer Stunde wird er sie eingeholt haben. Sie gehen beide über Stag.«
»Vielleicht hat dieser Narr gedacht, die Nervion sei ein fetter Kauffahrer?« Davy war an Deck gekommen. »Aber nein, das ist unmöglich.«
Herrick sprang nach Bolitho aus den Wanten und sah ihn zweifelnd an. »Sollen wir uns an der Jagd beteiligen, Sir?«
Aber Mudge stieß ihn fast beiseite und blaffte: »Von wegen Jagd!« Überrascht blickten sie ihn an. »Wir müssen den Spanier warnen, Sir!« Er deutete mit seiner riesigen Hand nach Lee.
»Vor Kap Blanco, Sir, liegt ein mächtiges Riff, es zieht sich beinahe hundert Meilen in die See hinein. Die Nervion ist zwar jetzt schon in Gefahr, aber wenn der Steuermann nur noch einen Strich mehr an den Wind geht, dann ist sie über dem verdammten Riff, ehe sie sich's versieht!«
Bolitho starrte ihn entsetzt an. »Mr. Herrick, lassen Sie die Royals setzen! Schnell jetzt!« Rasch trat er zum Ruder. »Wir brauchen mehr Fahrt.«
Soames rief: »Sieht so aus, als ob der Don einen Strich mehr an den Wind geht, Sir!«
Mudge starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Kompaß. »Jesus, er steuert tatsächlich Südsüdost!«
Beschwörend sah er Bolitho an. »Wir erreichen ihn nicht mehr rechtzeitig!«
Bolitho rannte zwischen Reling und Ruder auf und ab. Mattigkeit, glühende Hitze – alles war vergessen außer jener fernen Pyramide aus weißen Segeln, vor der die kleine Brigantine wie ein lockendes Irrlicht einherhüpfte. Ein Verrückter? Ein Pirat, der sich im Gegner geirrt hatte? Das war jetzt einerlei.
»Buggeschütz klar!« befahl Bolitho. »Mr. Herrick, wir werden versuchen, die Nervion abzulenken.«
Herrick beobachtete soeben, die Augen mit dem Sprachrohr beschattend, wie die Toppgasten die Royals setzten.
»Aye, aye, Sir!« Dann rief er: »Mr. Tapril zu mir!« Aber der Stückmeister war bereits im Vorschiff und wies die Bedienung des langen Neunpfünders ein.
Bolitho sagte scharf: »Die Nervion ist noch höher an den Wind gegangen, Mr. Mudge!« Vergeblich bemühte er sich um einen ruhigen Ton. Wie konnte so etwas geschehen? Das Meer war so weit, so leer. Und doch, von dem Riff hatte er schon früher von Seeleuten gehört, die diese Gewässer kannten. Manches gute Schiff war an seinem harten Rücken leckgeschlagen und gesunken.
»Steuerbordgeschütz klar, Sir!«
»Feuer!« Es krachte, brauner Rauch trieb nach Lee und zerflatterte, lange bevor die Gischt des Einschlags weit achteraus von der anderen Fregatte sichtbar wurde.
»Nochmals feuern!« Er sah Mudge an. »Einen Strich höher!« Mudge protestierte. »Das kann ich nicht verantworten, Sir.«
»Nein. Ich verantworte es.«
Bolitho schritt wieder zur Reling; sein offenes Hemd flatterte im Wind, aber er verspürte keine Kühlung. Er blickte hoch und sah, daß die Segel prall gefüllt waren – wie die des Spaniers. Bei diesem Segeldruck mußte das Riff der Nervion den Kiel herausreißen, wenn Triarte nicht etwas unternahm, und zwar sofort.
Das Deck erzitterte beim zweiten Schuß, und die Kugel jaulte über die Wellenkämme.
»Ausguck!« schrie Bolitho. »Was geschieht?«
Der Ausguck antwortete mit rauher Stimme: »Die Dons holen auf, Sir! Eben rennen sie ihre Geschütze aus.« Bolitho zweifelte nicht daran, daß der Mann richtig gesehen hatte. Vielleicht hatten die Spanier ihr Buggeschütz gehört und sogar den Einschlag gesehen, dachten jedoch, Bolitho wäre wieder einmal beim Exerzieren. Oder vielleicht glaubten sie auch, er sei, weil die Undine die Jagd nicht mitmachen konnte, so verärgert, daß er auf diese unmögliche Entfernung feuerte, um seine Wut abzureagieren. »Wie weit noch, Mr. Mudge?« hörte er sich fragen.
Und Mudge antwortete: »Sie müßte eigentlich schon aufsitzen, Sir. Die verfluchte Brigantine muß ohne Schaden drübergekommen sein. Kein Wunder bei dem geringen Tiefgang.«
Bolitho blickte ihn an. »Aber wenn sie durch ist, dann kann vielleicht ...«
Mudge schüttelte den Kopf. »Nicht die geringste Chance, Sir.«
Der Mann im Ausguck stieß einen Schrei aus. Als Bolitho sich umdrehte, sah er mit Entsetzen, wie die spanische Fregatte hochgehoben wurde, noch etwas weiterrutschte und dann auf dem überspülten Riff querschlug. Auf dem ganzen Schiff splitterten Masten und Rahen, stürzten Stagen, Wanten und Segel in einem fürchterlichen Chaos an Deck. So stark war der Aufprall
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