Der Piratenfuerst
der beiden Waffen lagen gekreuzt vor der Kehle des Piraten. Bei dem Mann war jetzt die Wut in Angst umgeschlagen; Bolitho merkte es, machte seinen Degen mit einem heftigen Ruck frei und hieb ihm die Parierstange in die Zähne. Der Kerl schrie auf, riß den Arm hoch, da fuhr Bolithos Degen ihm dicht unter der Schulter bis fast zum Griff in die Brust.
Allday sprang an Bolitho s Seite und rief: »Gut gemacht, Captain!« Er rollte den Mann mit einem Fußtritt zur Seite und knurrte: »Noch einer, bei Gott!« Denn ein Matrose der Brigantine war aus den Wanten gesprungen. Ob er überraschend von oben angreifen oder selbst einem Angriff entgehen wollte – Bolitho wußte es nicht. Er hörte nur Alldays Keuchen, das Sausen seiner Klinge, als er den Mann erst niederschlug und ihn dann mit einem weiteren furchtbaren Hieb erledigte.
»Da kommen zwei Boote, Sir!«
Bolitho stürzte zum Schanzkleid und duckte sich sofort, denn eine Kugel schlug dicht neben seiner Hand in die Reling.
»Nehmt sie mit dem Drehgeschütz unter Feuer!« brüllte er. Hinter ihm rannte ein Mann vorbei, der vor Alldays Degen floh und im Laufen eine Pistole abfeuerte. Bolitho fuhr mit einem Aufschrei herum; er spürte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Aber als er sein Bein und den klaffenden Riß in der Kniehose betastete, fühlte er weder Blut noch den scharfen Schmerz von Knochensplittern. Der Kerl, der den ungezielten Schuß abgefeuert hatte, kam den schreienden Sklaven zu nahe. Ketten peitschten durch die Luft wie Schlangen, dann verschwand der Sklavenhändler unter einem stoßenden, tretenden Haufen kreischender, schweißglänzender Neger.
Allday tastete nach Bolitho. »Wo sind Sie verwundet, Captain?« Selbst in dem Kampfeslärm, in dem Gebrüll ringsum, war seine Besorgnis deutlich herauszuhören.
Bolitho schob ihn beiseite und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Der Kerl hat meine Uhr getroffen, Gott verdamme seine Augen!«
Grinsend bückte sich Allday. »Für ihn steht die Zeit jetzt auch still, schätze ich.« Bolitho warf einen Blick auf den leblosen Körper bei den keuchenden Sklaven. Sie hatten ihn buchstäblich in Stücke gerissen. Er zerrte Allday weg. »Nicht zu nahe heran, sonst geht's Ihnen ebenso.«
»Undankbare Hunde!« Aber Bolitho stand schon bei der verlassenen Drehbasse und richtete den Lauf auf das vorderste Langboot.
»Die denken vielleicht, wir sind auch Sklavenjäger, nur von der Konkurrenz.« Er riß die Abzugsleine und fühlte den heißen Pulverqualm im Gesicht; das Schrapnell explodierte, ein Hagel gehacktes Blei schlug in das überfüllte Boot. Schreie, Flüche, ins Wasser klatschende Körper und einzelne Schüsse vom Heck her. Er beugte sich vor, um zu sehen, wo Soames die Küste erreicht hatte. Aber das ließ sich unmöglich feststellen. Musketenkugeln jaulten über die Bucht; einmal glaubte er, den Klang von Stahl auf Stahl zu hören.
Dann wandte er sich um und überblickte das Deck. Soeben rannte Keen vorbei, in der einen Hand eine leergeschossene Pistole wie eine Keule schwingend, in der anderen einen blitzenden Dolch. Bolitho packte ihn am Handgelenk. »Wie viele?«
Keen starrte ihn verwirrt an. »Wir haben fünf Mann verloren«, sagte er dann. »Aber die Sklavenhändler sind alle tot, Sir, oder über Bord gesprungen.« Bolitho horchte angestrengt auf Rudergeräusche. Hoffentlich kam Soames bald zur Hilfe.
Ein dumpfer Aufprall achtern: vermutlich wieder ein Boot, dessen Besatzung entern wollte. Er zählte seine kleine Truppe: fünf Tote, ein Mann offenbar verwundet. Es fehlte ihm an Leuten. Heiser rief Allday: »Wir können eins von den Geschützen an die Luke schaffen und ein Leck ins Schiff schießen. Wenn wir sie auf der Kampanje festhalten können, bis...«
Bolitho schüttelte den Ko pf und wies auf die Sklaven. »Sie sind alle aneinandergekettet – sie würden mit ertrinken!«
Er merkte, wie der Kampfeswille seiner überlebenden Männer erlosch wie ein Feuer unter einem Regenguß. Stumm blickten sie nach achtern, keiner hatte Lust, dem erwarteten Angriff als erster entgegenzutreten. Aber sie brauchten nicht lange zu warten. Die Kampanjetüren flogen auf, ein Haufen Männer stürmte an Deck, schrie und brüllte in einem Dutzend Sprachen. Bolitho stand breitbeinig, den Degen quer vorm Leib .
»Kappt den Anker, damit sie ins flache Wasser treibt!« Eine Kugel zischte über seinen Kopf hinweg, einer seiner Leute stürzte aufs Gesicht, Blut schoß aus seiner Kehle.
»Haltet
Weitere Kostenlose Bücher