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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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erfüllt. Indessen nützte uns jenes Probestück herzlich wenig. Das Geheimnis der organischen Chemie besteht bekanntlich darin, die Atome zu der Verbindung zu zwingen, die wir brauchen. In diesem Stückchen Gummi, das wir besaßen, war eine solche Erscheinung vor sich gegangen; wir wußten nur nicht, wie es geschehen war. Mit anderen Worten, uns fehlte das Produktionsrezept, und wir hatten nicht die geringste Ahnung, wie man dazu gelangen könnte. Selbstverständlich beriefen wir sofort Jaensch, Hoeller und Braun nach Hamburg, die zu der Zeit im Berliner Institut für flüssige Brennstoffe arbeiteten.
    Das Telegramm verfaßte ich selbst, und zwar in einer Form, daß alle drei noch in der gleichen Nacht mit dem Flugzeug ankamen und mich am frühen Morgen aus dem Schlaf trommelten. Nachdem sie mich eine Weile mit Ausrufen und Fragen bestürmt hatten, stellte sich heraus, daß sie nicht mehr wußten als ich selbst und mein Professor, das heißt – nichts. Die Protokolle der Versuche fanden wir ohne Schwierigkeiten. Das bewußte Stückchen Gummi war seinerzeit als Probe Nummer sechstausendvierhundertneununddreißig eingetragen und als wertlos weggeworfen worden. Auch aus der beiliegenden Röntgenaufnahme ging hervor, daß von einem Irrtum keine Rede sein konnte. Wir hatten uns derart festgefahren, daß einem von uns der im Munde eines Fachmannes geradezu humoristisch klingende Satz entschlüpfte: ,Vielleicht ist der Gummi inzwischen ausgereift?‘ Dieser Nonsens wurde zum geflügelten Wort. Wenn einmal jemand in eine Sackgasse geraten war, hieß es: ,Vielleicht ist es inzwischen ausgereift!‘ Nach vier Tagen gaben die Kollegen das Herumtappen im Finstern auf und flogen nach Berlin zurück. So stand ich denn allein auf weiter Flur – mit einem elenden Stück Gummi, einem ungeduldig gewordenen Professor und einem rauchenden Schädel, der mich weder essen noch schlafen ließ.
    An meine Theorie dachte ich nun überhaupt nicht mehr, sondern machte mich an die Wiederholung sämtlicher Etappen der Versuche, aus der diese Probe hervorgegangen war. Die Fertigungsrezepte hatte ich ja in den Protokollen. Ich will mich nicht lang und breit darüber auslassen, was ich alles unternahm, ich will nur erwähnen, daß ich die gleiche Synthese fünfhundertachtzehnmal durchführte, wobei ich mit einer geradezu blinden und sklavischen Exaktheit die Vorschriften befolgte. Ich quälte die Berliner Kollegen mit Telegrammen: Sie sollten mir genau alle Begleitumstände mitteilen, die bei ihrer Arbeit an dieser Probe eine Rolle gespielt hatten.
    Leider sind Sie keine Chemiker, meine Herren, sonst würden Sie mich noch besser verstehen. Es ist bekannt, daß in der Chemie, wo die Anzahl der möglichen Kombinationen aufeinander reagierender Stoffe, praktisch gesehen, unendlich groß ist, zuweilen Zufallsentdeckungen gemacht werden, zum Beispiel deshalb, weil jemand ein Stäubchen Zigarettenasche in den Kolben fallen ließ, das dann zum Kristallisationskern der Reaktion wurde, oder weil man ein Stockwerk tiefer den Korridor mit einem Lack gestrichen hatte, der irgendein seltenes Element in unerhört geringfügiger, aber zur Katalysierung einer bestimmten Reaktion ausreichender Menge enthielt. Die Kollegen antworteten mir nach bestem Wissen, und ich versuchte alles, was Sinn hatte, änderte die Temperatur, den Druck, die Katalysatoren, ich ging die seltsamsten Wege und war bald so weit, daß ich anfing, abergläubisch zu werden. Selbst dem pedantischsten Wissenschaftler, wenn er wirklich besessen von einem Problem ist, kann es passieren, daß er nach einer gewissen Zeit einfach den Überblick über sein Material verliert.
    In meinem Laboratorium machte sich allmählich eine Unordnung bemerkbar, die Professor Hummel zunächst hinter meinem Rücken und dann sogar vor mir selbst als heilloses Durcheinander bezeichnete. Er fragte mich, wie lange die Regierung noch Geld für mein kostspieliges Vergnügen ausgeben solle. Ich nannte einen Zeitraum von vier Monaten, den ersten besten Termin, der mir einfiel. Ehrlich gesagt, ich pflegte die Unordnung, die sich im Laboratorium ausbreitete, bis zu einem gewissen Grade selber, in der geheimen Hoffnung, daß mir vielleicht gerade in diesem urweltlichen Chaos ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommen könnte. Vielleicht würde ich auf diese Weise doch noch das geheimnisvolle Etwas entdecken, unter dessen Einwirkung jenes Stück vollkommenen Siliziumgummis entstanden war.
    Die Probe lag auf meinem Schreibtisch

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