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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wirklichkeit eine viele Kilometer breite Wolke war.
    Wir flogen nun, wie der Leuchtschirm des Prädiktors anzeigte, wie ein künstlicher Mond in elliptischer Bahn um die Erde. Das dauerte ungefähr eine Stunde, während der unter uns ein Drittel des Planeten vorüberzog. Mit den bunten Ebenen Chinas verschwand das Land, und wir befanden uns über dem Stillen Ozean, über einer stahlblauen gewölbten Wasserfläche, die wie poliertes Metall funkelte. Was für ein eigenartiger Anblick! – Als die Küste Amerikas auftauchte, drückte Soltyk wieder auf den roten Knopf, und erneut erklang das machtvolle Lied der Atommotoren. Der „Kosmokrator“ hob seinen Bug gegen den Zenit des schwarzen Himmels und schoß aus der Bahn, die er noch eben um die Erde beschrieben hatte. Dieser Flug dauerte etwa bis Mitternacht und war infoge des ständigen Wechsels der Beschleunigung außerordentlich erschöpfend.
    Die Rakete, die schon längst die Erdatmosphäre verlassen hatte, kämpfte noch immer gegen den Einfluß der irdischen Schwerkraft. Die Motoren unterbrachen ihre Arbeit auch nicht eine Minute. Da wir aber die Schallgeschwindigkeit erheblich überschritten und außerdem im leeren Raum flogen, konnten wir uns mühelos, ohne sonderliche Lautstärke, verständigen. Einige Minuten nach Mitternacht bat uns Soltyk, die Gurte zu lösen. Wir standen auf und begannen, vorerst noch etwas unsicher, unsere Umgebung näher zu betrachten.
    Die Zentrale lag in ruhiges Licht getaucht. Wären nicht die schwarzen, mit den Funken der Sterne übersäten Schirme gewesen, so hätte man annehmen können, daß die Rakete unbeweglich in der Halle ruhe. Von der gigantischen Kreisfläche der Erde unter uns war nur ein Viertel erleuchtet. Der andere, in Nacht gehüllte Teil stach mit dunkel-grauem Glanz vom Licht der Sterne ab.
    Wir hörten die Nachrichten der Radarstationen ab und begaben uns in die Gemeinschaftskabine. Nach dem Abendessen ergriff Arsenjew das Wort: „Liebe Freunde, unser Flug wird vierunddreißig Tage dauern. Während dieser Zeit erwartet uns leider nicht viel Arbeit. Trotzdem wollen wir nicht müßig sein, sondern uns die Reise durch Diskussionen verkürzen. Ich werde den Anfang machen und den Kollegen Lao Tsu zum Zweikampf über das Thema der Wellenbewegung der Materie herausfordern. Nun sind wir freilich hier in keinem Laboratorium, sondern in einem Schiff, das sich ständig von der Erde entfernt, und deshalb schlage ich vor, daß wir abends in Gedanken zu ihr zurückkehren, indem ein jeder von uns, der Reihe nach, eine Erinnerung erzählt, die er für wertvoll hält.“
    Alle waren mit diesem Vorschlag einverstanden. Nur ich schwieg; denn was ging mich das an? Man würde doch sicher nur über wissenschaftliche Arbeiten und Entdeckungen sprechen. Wie groß war daher meine Verwunderung, als sich Arsenjew an mich wandte, um den „Zyklus der vierundreißig Nächte“ – wie er ihn nannte – zu beginnen. Verwirrt suchte ich mich auszureden, als hätte ich bis zur letzten Woche das Leben eines Büromenschen geführt, in dem sich nie etwas ereignet.
    „So, so, Sie sind hier unter lauter Professoren”, wiederholte der Astronom mit leichtem Spott meine letzten Worte. „Merken Sie sich eines: Hier gibt es keine Professoren, hier gibt es nur Reisegefährten. Im übrigen weiß ich sehr gut, daß wir alle Sie um Ihre Erinnerungen beneiden können.“
    Trotzdem wehrte ich mich, versprach aber, in den nächsten Tagen etwas zu erzählen, wenn ich selbst erst einmal zugehört hätte und die richtige Stimmung des Erzählens gekommen sei. Vielleicht würde es mir dann leichter sein; denn es falle mir immer schwer, als erster zu beginnen. Mit offensichtlichem Tadel über meine Unbeholfenheit schüttelte Arsenjew den Kopf und wandte sich an Doktor Rainer, unseren Chemiker.
    Ich war erfreut, daß gerade Rainer sprechen sollte; denn ihn hatte ich vorher gar nicht gekannt. So wie ich war er, durch irgendwelche Angelegenheiten in Deutschland aufgehalten, erst am Tage des Abfluges auf dem Startplatz eingetroffen. Doktor Rainer ist ein unscheinbarer, überaus ruhiger Mann von ungefähr vierzig Jahren, mit Brille und leicht angegrautem Haar. Er wollte eben beginnen, als Soltyk, der in der Zentrale Dienst hatte, mit der Nachricht erschien, daß in Kürze das Radio der nördlichen Halbkugel eine Sondersendung für uns bringen werde. So schalteten wir den Lautsprecher zur Gemeinschaftskabine um, und hier, in den tiefen Polstersesseln um den runden Tisch

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